(Stuttgart) Betriebs- und Personalräte sollen künftig auch auf virtuellem Wege Beschlüsse fassen können. Eine Gesetzesänderung plant die Bundesregierung.

Einen Überblick über die gesetzlichen Neuregelungen gibt der Hamburger Fachanwalt für Arbeitsrecht Prof. Dr. Michael Fuhlrott.

Die betriebliche Mitbestimmung ist ein wichtiges Gut – auch in Zeiten von Corona. Betriebsräte handeln klassisch durch Beschlüsse, die nach gemeinsamer Erörterung in Betriebsratssitzungen gefasst werden. Müssen sich Betriebsräte aber auch in Zeiten bestehender Infektionsgefahren persönlich vor Ort treffen oder können sie sich auch – wie die meisten Entscheider auf Arbeitgeberseite – in Videokonferenzen abstimmen und auf diese Weise ihre Beschlüsse fassen? Prof. Dr. Fuhlrott dazu: „Diese Frage war bis vor Kurzem sehr umstritten. Sehr gewichtige Stimmen verneinten eine solche Möglichkeit und sahen auch in Zeiten von Corona eine Beschlussfassung nur bei persönlichem Zusammentreffen für wirksam an. Die bevorstehende gesetzliche Änderung ist daher mehr als überfällig. Sie ist absolut notwendig, damit Betriebsräte handlungsfähig bleiben.“

  • Wichtige Beteiligungsrechte und Rolle des Betriebsrats in der PandemieNach dem Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) hat der Betriebsrat bei vielen Angelegenheiten ein Beteiligungsrecht bzw. muss bestimmten Maßnahmen sogar ausdrücklich zustimmen. So ist etwa die Einführung von Kurzarbeit in Betrieben mit Betriebsrat nur möglich, wenn der Betriebsrat damit einverstanden ist (§ 87 Abs. 1 Nr. 2, 3 BetrVG). Auch viele andere in der aktuellen Zeit diskutierte Maßnahmen bedürfen der Zustimmung des Betriebsrats, wie etwa Regelungen zum Fiebermessen vor Zutritt zum Betrieb (§ 87 Abs. 1 Nr. 1, 7 BetrVG). Auch bei der Versetzung von Mitarbeitern ins HomeOffice hat der Betriebsrat ein Beteiligungsrecht (§ 99 Abs. 1 BetrVG), ebenso wie bei Kündigungen (§ 102 Abs. 1 BetrVG). „Der Betriebsrat ist daher ein wichtiger Ansprechpartner in der aktuellen Zeit“, so Fuhlrott. „Viele wichtige und für Unternehmen sogar überlebensnotwendige Maßnahmen sind nicht gegen den Willen des Betriebsrats möglich“, weiß Fuhlrott. „Sind wirksame Beschlüsse nicht möglich, drohen Stillstand und erhebliche Rechtsunsicherheiten für Unternehmen“, so Fuhlrott weiter.
  • Bisherige gesetzliche Regelung: Beschlussfassung nur bei persönlichem TreffenDie Beteiligung bzw. Mitbestimmung des Betriebsrats wird durch eine Beschlussfassung des Betriebsrats nach erfolgter Diskussion der Maßnahme gewahrt. Hierfür war es – jedenfalls nach der bisherigen vorherrschenden Auffassung – zwingend notwendig, dass sich die Betriebsräte dazu persönlich trafen. „Virtuelle Beschlussfassungen und Sitzungen sah das Betriebsverfassungsgesetz bislang nicht vor“, so Fuhlrott. Begründet wurde dies damit, dass ein persönlicher Austausch des Gremiums unabdingbar sei und bei virtuellen Treffen zudem die Gefahr bestehe, dass die Nicht-Öffentlichkeit der Sitzung nicht gewahrt würde. Diese Auffassung wurde indes auch bislang schon als „überholt“ angesehen und insbesondere auf die Regelungen für auf Seeschiffen gebildete Betriebsräte verwiesen, die ausnahmsweise auch nach den bisherigen gesetzlichen Regelungen (§ 41 Abs. 2 a Europäische Betriebsräte-Gesetz – EBRG) virtuell tagen und Beschlüsse fassen durften.
  • Ministererklärung und AppellDer Bundesarbeitsminister Hubertus Heil hatte nach der insoweit geäußerten Kritik bereits in einem Appell vom 20.03.2020 die Betriebsparteien im Wege einer „Ministererklärung“ (abrufbar unter https://www.bmas.de/DE/Presse/Meldungen/2020/arbeit-der-betriebsraete-unterstuetzen.html ) aufgefordert, „die Möglichkeit der Video- und Telefonkonferenz verantwortungsvoll“ zu nutzen und sich für deren Einsatz ausgesprochen. Während diese Erklärung von ihrer Stoßrichtung von Arbeitgeberverbänden zwar begrüßt wurde, wurde gleichwohl Kritik geäußert, dass eine bloße Ministererklärung keine Gesetzeskraft aufweise und Gerichte nicht binden könne. Arbeitnehmer, die später gerichtlich die Unwirksamkeit virtueller Betriebsratsbeschlüsse geltend gemacht hätten, wären womöglich im Recht gewesen. Gewerkschaften äußerten hingegen ihre Bedenken und fürchteten, dass durch entsprechende Regelungen das Recht zu persönlichen Treffen von Arbeitnehmervertretungen ausgehöhlt würde.
  • Rechtssicherheit durch bevorstehende GesetzesänderungDas Bundeskabinett hat nunmehr am 8.4.2020 mitgeteilt, die derzeitige unsichere Situation durch eine Gesetzesänderung zu entschärfen. Nach der entsprechenden Mitteilung der Bundesregierung ( abrufbar unter https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/betriebliche-mitbestimmung-1739914 ) ist eine gesetzliche Klarstellung geplant, wonach durch eine Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes Beschlüsse vorerst auch via Video- und Telefonkonferenz gefasst werden können. Die Regelung soll für Betriebsräte bis zum 31. Dezember 2020 gelten, für Personalräte bis zum 31. März 2021. Zudem sollen die Regelungen auch rückwirkend zum 1. März 2020 gelten, damit in der Vergangenheit bereits virtuell gefasste Beschlüsse ebenfalls wirksam sind. „Die Regelung ist absolut sinnvoll und notwendig. Sie schafft Rechtssicherheit und ist im Interesse von Arbeitgebern und Betriebsräten“, so Fuhlrott. „Vielleicht erkennen die Betriebsparteien auch, dass virtuelle Sitzungen nichts Nachteiliges sind und befürworten eine Verlängerung auch über das Jahresende hinaus“, hofft Fuhlrott.Fuhlrott empfiehlt Arbeitgebern und Betriebsräten bei Unklarheiten zur Wirksamkeit wichtiger Betriebsratsbeschlüsse Rechtsrat einzuholen, wobei er u. a. dazu auch auf den VDAA Verband deutscher ArbeitsrechtsAnwälte e. V. – www.vdaa.de – verweist.Für Rückfragen steht Ihnen zur Verfügung:

    Prof. Dr. Michael Fuhlrott
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    Fachanwalt für Arbeitsrecht

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