(Stuttgart) Immer wieder wird vor den Sozialgerichten darüber gestritten, ob jemand tatsächlich als selbstständig einzustufen ist oder hier eine sogen. „Scheinselbständigkeit“ vorliegt, die dazu führt, dass das beschäftigende Unternehmen mithin die Beiträge zur Kranken-, Renten-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung ggf. auch rückwirkend abzuführen hat. 

Einen solchen Fall, so der Stuttgarter Fachanwalt für Arbeitsrecht Michael Henn, Präsident des VDAA – Verband deutscher ArbeitsrechtsAnwälte e. V. mit Sitz in Stuttgart, unter Hinweis auf die Mitteilung des Gerichts vom 4.07.2022 hatte das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg am 29.06.2022 zu entscheiden (Az. L 28 BA 23/19).

Hier entschied der 28. Senat des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg, dass ein für ein Transportunternehmen tätiger Kurierfahrer entgegen der Behauptung des Unternehmens sozialversicherungsrechtlich nicht selbständig tätig, sondern abhängig beschäftigt war. Das Transportunternehmen hat mithin die Beiträge zur Kranken-, Renten-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung nachzuzahlen.

Der Kurierfahrer führte in den Jahren 2016 und 2017 Transportaufträge durch, die das Unternehmen ihm über ein Funksystem vermittelte. Nach Abschluss eines Rahmenvertrags und unter Hinweis auf „organisatorische Tipps“ und „Arbeitsanleitungen“ in einem Handbuch hatte er bei den Kunden des Unternehmens Transportgüter abzuholen und auszuliefern, nachdem ihm entsprechende Aufträge von der Unternehmenszentrale über Funk vermittelt worden waren. Der Kurierfahrer hatte hierzu selbst ein entsprechendes Gewerbe angemeldet, führte die Fahrten mit einem eigenen Fahrzeug durch, hatte seinerseits aber weder eigene Mitarbeiter noch einen Betrieb. Ihm gegenüber erstellte das Unternehmen monatliche Abrechnungen auf der Grundlage der ermittelten Transportkilometer und zog von der Vergütung eine Verwaltungspauschale ab.

Nach einer Würdigung der Gesamtumstände der Tätigkeit des Kurierfahrers ging das Landessozialgericht von einer abhängigen Beschäftigung aus. Weder aus dem geschlossenen Rahmenvertrag noch aus der Art und Weise, wie der Vertrag gelebt wurde, ergäben sich wesentliche Freiräume des Kurierfahrers. Habe er den jeweiligen Einzelauftrag angenommen bzw. habe das Transportunternehmen diesen an ihn vergeben, sei er fortan fremdbestimmt in die Arbeitsorganisation des Unternehmens eingegliedert gewesen. Etwaige Freiräume – beispielsweise im Hinblick auf die Wahl der konkreten Route – fielen demgegenüber nicht erheblich ins Gewicht. Gleiches gelte auch für den Umstand, dass der Fahrer für seine Kurierdienste seinen eigenen Pkw nutzte.

Keine wesentliche Bedeutung komme schließlich dem Umstand zu, dass dem Kurierfahrer auf der Grundlage des geschlossenen Vertrages die für einen Arbeitnehmer typische soziale Absicherung nicht gewährt wurde. Dieser Umstand könne allenfalls ein Indiz darstellen, dessen Gewicht sich wegen eines Ungleichgewichts in den Verhandlungspositionen beider Seiten allerdings erheblich abschwäche. Hier sei nicht erkennbar, dass beide Vertragspartner in gleicher Weise Einfluss auf die Ausgestaltung des sozialversicherungsrechtlichen Status hätten nehmen können.

Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Das unterlegene Transportunternehmen kann bei dem Bundessozialgericht die Zulassung der Revision beantragen.

Zum rechtlichen Hintergrund:

Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung ist § 7 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV): „Beschäftigung ist die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers.“

Henn empfahl, die Entscheidung zu beachten und in Zweifelsfällen rechtlichen Rat einzuholen, wobei er u. a. dazu auch auf den VDAA Verband deutscher ArbeitsrechtsAnwälte e. V. – www.vdaa.de – verwies.

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Michael Henn
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