Bun­de­sar­beits­gericht, Beschluss vom 30.06.2021, AZ 1 ABR 28/20

Aus­gabe: 06–2021

Der Erste Sen­at des Bun­de­sar­beits­gerichts hat entsch­ieden, dass die DHV — Die Beruf­s­gew­erkschaft e.V. (DHV) nicht tar­if­fähig ist.

Tar­ifverträge kann nur eine tar­if­fähige Arbeit­nehmervere­ini­gung schließen. Das set­zt voraus, dass die Vere­ini­gung über eine Durch­set­zungskraft gegenüber der Arbeit­ge­ber­seite und eine hin­re­ichende organ­isatorische Leis­tungs­fähigkeit in einem zumin­d­est nicht unbe­deu­ten­den Teil des beansprucht­en Zuständigkeits­bere­ichs ver­fügt. Diese soziale Mächtigkeit wird regelmäßig durch die Zahl der organ­isierten Arbeit­nehmer vermittelt. 

Die im Jahr 1950 als Gew­erkschaft der Kauf­manns­ge­hil­fen neu gegrün­dete DHV ver­stand sich nach ihrer 1972 gel­tenden Satzung als eine Gew­erkschaft der Angestell­ten im Han­del, in der Indus­trie und dem pri­vat­en und öffentlichen Dien­stleis­tungs­bere­ich; seit 2002 als eine Gew­erkschaft der Arbeit­nehmer in Bere­ichen, die durch kaufmän­nis­che und ver­wal­tende Berufe geprägt sind. Nach mehreren weit­eren Änderun­gen des Organ­i­sa­tions­bere­ichs erstreckt sich ihre Tar­ifzuständigkeit auf der Grund­lage ein­er im Novem­ber 2014 beschlosse­nen Satzung nun­mehr auf Arbeit­nehmer in unter­schiedlich­sten Bere­ichen, so ua. pri­vate Banken und Baus­parkassen, Ver­sicherungs­gewerbe, Einzel- und Bin­nen­großhan­del, Kranken­häuser in pri­va­trechtlich­er Rechts­form, Ret­tungs­di­en­ste, Deutsches Rotes Kreuz, Fleis­chwarenin­dus­trie, Rei­sev­er­anstal­ter, Tex­til­reini­gung, Ein­rich­tun­gen der pri­vat­en Alten- und Behin­dertenpflege sowie IT-Dien­stleis­tung­sun­ternehmen für Steuer­ber­ater, Wirtschaft­sprüfer und Recht­san­wälte. Die DHV ver­fügt — nach eigen­em Bekun­den — über 66.826 Mit­glieder, die in ihrem satzungsmäßi­gen Zuständigkeits­bere­ich beschäftigt sind. Dieser erfasst nach Angaben der DHV um die 6,3 Mio. Arbeit­nehmer, was einem Gesam­tor­gan­i­sa­tion­s­grad von etwa einem Prozent entspricht. In den einzel­nen Zuständigkeits­bere­ichen schwankt ihr Organ­i­sa­tion­s­grad zwis­chen unge­fähr 0,3 % (kaufmän­nis­che und ver­wal­tende Berufe bei kom­mu­nalen Arbeit­ge­bern) und 2,4 % (Ver­sicherungs­gewerbe).

In einem ua. von den Gew­erkschaften IG Met­all, ver.di und NGG ein­geleit­eten Beschlussver­fahren haben diese die — zulet­zt auf die Zeit ab dem 21. April 2015 bezo­gene — Fest­stel­lung begehrt, dass die DHV nicht tar­if­fähig ist.

Das Arbeits­gericht hat dem Antrag stattgegeben, das Lan­desar­beits­gericht hat ihn abgewiesen. Nach Aufhe­bung dieser Entschei­dung durch das Bun­de­sar­beits­gericht mit Beschluss vom 26. Juni 2018 und Zurück­ver­weisung der Sache an das Lan­desar­beits­gericht (siehe Pressemit­teilung Nr. 35/18) hat dieses fest­gestellt, dass die DHV auf der Grund­lage ihrer let­zten Satzung seit dem 21. April 2015 nicht tar­if­fähig ist. Die hierge­gen erhobene Rechts­beschw­erde der DHV hat­te vor dem Ersten Sen­at des Bun­de­sar­beits­gerichts keinen Erfolg. Wie die gebotene Gesamtwürdi­gung ergibt, kann selb­st bei Zugrun­dele­gung der Angaben der DHV nicht prog­nos­tiziert wer­den, dass diese in ihrem eigen­ständig bes­timmten Zuständigkeits­bere­ich über die notwendi­ge mit­gliederver­mit­telte Durch­set­zungs­fähigkeit gegenüber den sozialen Gegen­spiel­ern ver­fügt. Die DHV kann ihre soziale Mächtigkeit auch nicht aus ihrer Teil­nahme am Tar­ifgeschehen auf der Grund­lage ihrer aktuellen Satzung herleiten.

Weit­ere Infor­ma­tio­nen: https://juris.bundesarbeitsgericht.de/cgi-bin/r…