Lan­desar­beits­gericht Baden-Würt­tem­berg, Beschluss vom 02.06.2023, AZ 12 Sa 56/21

Aus­gabe: 05–2023

1. Ein Sachvor­trags- oder Beweisver­w­er­tungsver­bot wegen ein­er Ver­let­zung des gemäß Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG geschützten all­ge­meinen Per­sön­lichkeit­srechts ein­er Partei kann sich im arbeits­gerichtlichen Ver­fahren aus der Notwendigkeit ein­er ver­fas­sungskon­for­men Ausle­gung des Prozess­rechts ergeben.

2. Die Bes­tim­mungen des BDSG über die Anforderun­gen an eine zuläs­sige Daten­ver­ar­beitung konkretisieren und aktu­al­isieren den Schutz des Rechts auf infor­ma­tionelle Selb­st­bes­tim­mung. War die fragliche Maß­nahme nach den Bes­tim­mungen des BDSG nicht erlaubt, fol­gt hier­aus regelmäßig ein Ver­bot der Ver­w­er­tung der unzuläs­sig beschafften Dat­en und Erkenntnisse.

3. Hat der Arbeit­ge­ber die Pri­vat­nutzung dien­stlich­er Kom­mu­nika­tion­s­mit­tel (E‑Mail; What­sApp) erlaubt, ist im Rah­men von § 26 Abs. 1 Satz 1 BDSG bei deren Auswer­tung eine ver­schärfte Ver­hält­nis­mäßigkeit­skon­trolle durchzuführen (offen­ge­lassen, ob bei abgeschlossen­em Ver­sand­vor­gang das Fer­n­meldege­heim­nis aus § 88 TKG a.F. bzw. § 3 TTDSG n.F. Anwen­dung findet).

4. Bei erlaubter Pri­vat­nutzung eines dien­stlichen E‑Mail-Accounts darf eine ver­dacht­sun­ab­hängige Über­prü­fung durch den Arbeit­ge­ber in aller Regel nicht verdeckt erfol­gen. Vielmehr muss dem Arbeit­nehmer angekündigt wer­den, dass und aus welchem Grund eine Ver­ar­beitung von E‑Mails stat­tfind­en soll. Es muss ihm die Gele­gen­heit gegeben wer­den, pri­vate Nachricht­en in einem geson­derten Ord­ner zu spe­ich­ern, auf den kein Zugriff erfolgt.

5. Es spricht viel dafür, dass bei unterblieben­er aus­drück­lich­er Regelung durch den Arbeit­ge­ber die Arbeit­nehmer grund­sät­zlich von ein­er Erlaub­nis auch zur pri­vat­en Kom­mu­nika­tion über einen dien­stlichen E‑Mail-Account aus­ge­hen kön­nen (im Ergeb­nis hier offen gelassen). Die E‑Mail ist nach der Art ihres üblichen Ein­satzes in der betrieblichen Wirk­lichkeit ein gegenüber dem Geschäfts­brief eigenes Kom­mu­nika­tion­s­mit­tel mit regelmäßig höherem Gehalt an per­sön­lichem Infor­ma­tion­saus­tausch. Sie nimmt ver­glichen mit dem (Telefon-)Gespräch und dem Geschäfts­brief eine Zwis­chen­stel­lung ein.

6. Wird einem Arbeit­nehmer ein Smart­phone als umfassendes Kom­mu­nika­tions- und Organ­i­sa­tion­s­gerät über­lassen und erfol­gt im Hin­blick auf bes­timmte Kom­mu­nika­tions­for­men (What­sApp; SMS; Tele­fon) aus­drück­lich eine ein­vernehm­liche Mis­chnutzung, darf der Arbeit­nehmer annehmen, dass sich die Erlaub­nis auch auf andere Kom­mu­nika­tions­for­men (E‑Mail) bezieht.

7. Die gesellschaft­srechtliche Vorschrift in § 51a Gmb­HG , nach der die Geschäfts­führer ein­er GmbH jedem Gesellschafter auf Ver­lan­gen unverzüglich Auskun­ft über die Angele­gen­heit­en der Gesellschaft zu geben und die Ein­sicht der Büch­er und Schriften zu ges­tat­ten haben, regelt auss­chließlich das Ver­hält­nis der Gesellschafter zu den Geschäfts­führern ein­er GmbH. Hin­sichtlich der Berech­ti­gung und Gren­zen der Ver­ar­beitung per­so­n­en­be­zo­gen­er Dat­en (hier: E‑Mails; What­sApp) eines Beschäftigten der GmbH trifft die Norm keine Aus­sage. Die Weit­er­gabe per­so­n­en­be­zo­gen­er Beschäftig­ten­dat­en ist daher auch im Rah­men des § 51a Gmb­HG auss­chließlich an den Vor­gaben des BDSG und der DS-GVO zu messen.

8. Gegen­stand der Über­prü­fung der Recht­mäßigkeit ein­er Daten­ver­ar­beitung ist ein Ver­ar­beitungsvor­gang in sein­er Gesamtheit. Eine Atom­isierung eines ein­heitlichen Kon­trol­lvor­gangs dahinge­hend, dass betr­e­f­fend jedes aus­gew­ertete Datum (z.B. jede E‑Mail) geson­dert eine Prü­fung anhand von § 26 Abs. 1 Satz 1 BDSG zu erfol­gen hat, ist unzulässig.

9. Einzelfal­l­entschei­dung zum Vor­liegen eines Sachvor­tragsver­w­er­tungsver­bots im Kündi­gungss­chutzprozess im Hin­blick auf Infor­ma­tio­nen, die bei ein­er unver­hält­nis­mäßi­gen Auswer­tung von E‑Mails bzw. What­sApp-Nachricht­en gewon­nen wor­den sind.

10. Für die Anerken­nung eines Anspruchs auf Ersatz des imma­teriellen Schadens gemäß Art. 82 Abs. 1 DS-GVO, den eine Per­son infolge eines Ver­stoßes gegen daten­schutzrechtliche Vorschriften erlit­ten hat, ist die bloße Ver­let­zung der Norm als solche nicht aus­re­ichend, wenn mit ihr kein entsprechen­der imma­terieller Schaden einhergeht.

11. Der bloße „Ärg­er“ über den Kon­trol­lver­lust an den Dat­en, das schiere „Unmutsge­fühl“ wegen der Nicht­beach­tung des Rechts durch einen anderen, sind nicht aus­re­ichend für das Vor­liegen eines imma­teriellen Schadens.

12. Im Rah­men des Art. 82 Abs. 1 DSGVO ist auch die Rela­tion zu Schmerzens­geldern betr­e­f­fend Ver­let­zun­gen der kör­per­lichen Integrität im Blick zu behal­ten. Etwaige Span­nungsla­gen und Zielkon­flik­te sind dahinge­hend aufzulösen, dass (imma­terielle) Schä­den, die im Zuge von Daten­schutzver­let­zun­gen entste­hen, zwar voll­ständig kom­pen­siert wer­den müssen, aber zugle­ich durch (zu) hohe, überkom­pen­satorische Schadenser­satzpflicht­en keine falschen Anreizwirkun­gen erzeugt wer­den dürfen.

Weit­ere Infor­ma­tio­nen: http://lrbw.juris.de/cgi-bin/laender_rechtsprec…