(Stuttgart) Verstößt eine tarifliche Norm gegen das Diskriminierungsverbot befristet beschäftigter Arbeitnehmer nach § 4 Abs. 2 TzBfG und ist deshalb gemäß § 134 BGB (teil)nichtig, hat der benachteiligte Arbeitnehmer Anspruch darauf, so behandelt zu werden wie die vergleichbaren Dauerbeschäftigten, ohne dass den Tarifvertragsparteien zuvor die Möglichkeit zur Korrektur ihrer diskriminierenden Regelung einzuräumen ist.

Darauf verweist der Stuttgarter Fachanwalt für Arbeitsrecht Michael Henn, Präsident des VDAA – Verband deutscher ArbeitsrechtsAnwälte e. V. mit Sitz in Stuttgart unter Hinweis auf die Mitteilung des Bundesarbeitsgerichts zu seinem Urteil vom 13. November 2025 – 6 AZR 131/25.

Der Kläger ist seit Juni 2019 als Zusteller bei der bundesweit logistische Dienstleistungen anbietenden Beklagten zunächst befristet, seit Juni 2020 unbefristet beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis bestimmt sich kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit nach den bei der Beklagten geltenden Haustarifverträgen. Die Höhe der Vergütung richtet sich ua. nach der jeweiligen Entgeltgruppe sowie einer von der Beschäftigungszeit bei der Beklagten abhängigen Gruppenstufe.

Vor dem Hintergrund einer umfassenden Reorganisation bei der Beklagten ab Juli 2019 vereinbarten die Tarifvertragsparteien ua. eine Verlängerung der Gruppenstufenlaufzeiten für Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnisse nach dem 30. Juni 2019 neu begründet worden sind. Die Parteien haben darüber gestritten, ob von dieser Regelung auch Wiedereinstellungen Beschäftigter erfasst werden, die vor diesem Stichtag befristet tätig waren, und ob in diesem Fall die dann auch für jene Arbeitnehmergruppe erfolgte Verlängerung der Stufenlaufzeiten im Einklang mit § 4 Abs. 2 TzBfG steht. Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben.

Die Revision der Beklagten hatte vor dem Sechsten Senat des Bundesarbeitsgerichts keinen Erfolg.

Der Senat hat entschieden, dass die streitige Tarifnorm auch Arbeitnehmer wie den Kläger erfasst, deren befristete Arbeitsverhältnisse nach dem 30. Juni 2019 erneut begründet wurden. Die Regelung verstößt gegen den Unionsrecht umsetzenden § 4 Abs. 2 TzBfG. Die von der Beklagten dargelegten Gründe für die Ungleichbehandlung, die aufgrund des Unionsrechtsbezugs von § 4 Abs. 2 TzBfG von den Gerichten für Arbeitssachen einer vollständigen und nicht lediglich – wie bei bestimmten Verstößen gegen Art. 3 Abs. 1 GG – einer Willkürkontrolle zu unterziehen sind, rechtfertigen diese Ungleichbehandlung nicht und diskriminiert deshalb den Personenkreis der zuvor befristet Beschäftigten. Die Tarifbestimmung ist insoweit teilnichtig. Der Kläger hat deshalb nach § 612 Abs. 2 BGB iVm. § 4 Abs. 2 Satz 3 iVm. Satz 1 TzBfG ebenso wie die vergleichbaren am Stichtag unbefristet beschäftigten Arbeitnehmer Anspruch auf Beibehaltung der kürzeren Gruppenstufenlaufzeiten. Das konnte der Senat entscheiden, ohne den Tarifvertragsparteien zuvor Gelegenheit zur Beseitigung der Diskriminierung zu gewähren. Den Tarifvertragsparteien ist im Anwendungsbereich unionsrechtlich überformter Diskriminierungsverbote – anders als bei Verletzungen des allgemeinen Gleichheitssatzes des Art. 3 Abs. 1 GG (dazu Bundesverfassungsgericht vom 11. Dezember 2024 – 1 BvR 1109/21 ua -) – keine primäre Korrekturmöglichkeit einzuräumen. Art. 3 Abs. 1 GG entfaltet im Unterschied zu unionsrechtlich überformten Diskriminierungsverboten keine Abschreckungsfunktion.

Henn empfahl, die Entscheidung zu beachten und in Zweifelsfällen rechtlichen Rat einzuholen, wobei er u. a. dazu auch auf den VDAA-Verband deutscher ArbeitsrechtsAnwälte e. V. – www.vdaa.de – verwies.

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