Wer trägt das Wegerisiko, wenn Beschäftigte infolge Streik­maß­nah­men nicht zur Arbeit kommen?

(Stuttgart) Am Mon­tag, 27.03.2023 haben die Gew­erkschaften erneut zu einem Warn­streik aufgerufen. In weit­en Teilen Deutsch­lands soll der Per­so­nen­nah- und Fer­n­verkehr zum Erliegen kom­men. Was gilt für Beschäftigte, die damit nicht mehr zu ihrer Arbeitsstelle kom­men kön­nen: Dro­hen ihnen Lohnein­bußen oder sog­ar Abmah­nung und Kündigung?

Der Ham­burg­er Fachan­walt für Arbeit­srecht Prof. Dr. Michael Fuhlrott ord­net die Recht­slage ein.

Grund­satz: Wegerisiko trägt der Arbeitnehmer

Müssen Arbeit­nehmer auch bei vorherse­hbaren Schwierigkeit­en oder einem anste­hen­den Streik über­haupt im Betrieb erscheinen, ins­beson­dere wenn kein Bus mehr fährt und der Arbeit­nehmer daher seinen üblichen Weg zur Arbeit nicht antreten kann? Diese Frage wer­den sich am Woch­enende ver­mut­lich viele Arbeit­nehmer stellen. Deren Beant­wor­tung sei rechtlich aber ein­deutig gek­lärt, erläutert Arbeit­srechtler Prof. Dr. Michael Fuhlrott: „Wie der Arbeit­nehmer zur Arbeit gelangt, ist Sache des Arbeit­nehmers. Dieser hat sicherzustellen, dass er pünk­tlich zum Arbeits­be­ginn im Betrieb erscheint, um die Arbeit aufnehmen zu können.“

Das Wegerisiko trägt also immer der Arbeit­nehmer. „Da der Arbeit­ge­ber dem Arbeit­nehmer ja auch nicht vorschreibt, wo dieser zu wohnen hat und wie dieser zur Arbeit kommt, muss der Beschäftigte eigen­ständig pla­nen und sich­er­stellen, dass er zur Arbeit gelangt“, so der Ham­burg­er Arbeit­srecht­san­walt Fuhlrott.

Rechtzeit­ige Pla­nung und Zeit­puffer einplanen

Im Zweifel muss der Arbeit­nehmer damit also mehr Zeit für die Anreise ein­pla­nen. Sei zudem bere­its vorherse­hbar, dass es Störun­gen auf dem Arbeitsweg geben wird, die einem pünk­tlichen Erscheinen ent­ge­gen­ste­hen wer­den, muss der Arbeit­nehmer im Vor­feld tätig werden: 

Ist mir bere­its einige Tage vorher bekan­nt, dass keine Busse und Bah­nen fahren wer­den, muss ich umpla­nen. Ich muss etwa über­legen, das eigene Auto zu nehmen, auf das Fahrrad zu steigen oder Fahrge­mein­schaften bilden“, so Arbeit­srechtler Fuhlrott.

Ohne Arbeit kein Lohn

Wer den­noch nicht oder zu spät zur Arbeit erscheint, dem dro­hen Lohnein­bußen: Der Arbeit­nehmer hat für die Zeit der Zeitver­säum­nis keinen Anspruch auf Bezahlung. Gibt es Arbeit­szeitkon­ten mit Gleitzeitregelun­gen, kann die aus­ge­fal­l­ene Arbeit­szeit wom­öglich nachge­holt wer­den. „Ist der Arbeits­be­ginn aber fix um 8.00 Uhr vere­in­bart und endet die Schicht um 16.30 Uhr und kommt der Arbeit­nehmer erst um 10.00 Uhr zur Arbeit, wer­den ihm die ersten bei­den Stun­den nicht vergütet“, so der Ham­burg­er Fachanwalt.

Es gelte der Grund­satz: Ohne Arbeit kein Lohn. „Arbeit­ge­ber müssen nur Lohn zahlen, wenn der Arbeit­nehmer auch tat­säch­lich arbeit­et oder es eine geset­zliche Aus­nahme wie etwa die Lohn­fortzahlung im Krankheits­fall gibt, wonach der Arbeit­ge­ber auch ohne Arbeit­sleis­tung zahlen muss.“

Auf die geset­zliche Aus­nah­mevorschrift des § 616 S. 1 Bürg­er­lich­es Geset­zbuch (BGB) wird sich der Arbeit­nehmer in der aktuellen Sit­u­a­tion auch nicht berufen kön­nen. Nach dieser Vorschrift behält der Arbeit­nehmer seinen Lohnanspruch, wenn er für eine nicht erhe­bliche Zeit durch einen in sein­er Per­son liegen­den Grund an der Arbeit­sleis­tung ver­hin­dert wird. 

Diese Vorschrift ist zum einen in vie­len Arbeitsverträ­gen stan­dard­mäßig aus­geschlossen. Zum anderen han­delt es sich bei einem eine Vielzahl von Arbeit­nehmern tre­f­fend­en Streik nicht mehr um einen in der Per­son des einzel­nen Arbeit­nehmers liegen­den Grund“, erläutert Arbeit­srecht­spro­fes­sor Fuhlrott weiter.

Abmah­nung bei Fernbleiben?

Wer trotz aller Mühen nicht rechtzeit­ig oder wom­öglich gar nicht zur Arbeit erscheinen kann, weil er schlicht keine Mit­tel find­et, zur Arbeit zu erscheinen, müsse aber regelmäßig nicht mit ein­er Abmah­nung oder gar Kündi­gung rech­nen, so Arbeit­srechtler Fuhlrott: „Voraus­set­zung ist aber, dass der Arbeit­nehmer alles ihm Mögliche untern­immt, um zur Arbeit zu gelan­gen. Da der Streik einige Tage vorher bekan­nt gegeben wor­den ist, tre­f­fen den Arbeit­nehmer hier auch höhere Anforderun­gen als bei der ganz kurzfristi­gen Bekan­nt­gabe eines Streiks am gle­ichen Tag“. 

Wer also am Mon­tag ohne Alter­na­tiv­plan zur Bushal­testelle kommt, fest­stellt, dass der Bus nicht fährt und sich erst dann Gedanken macht, wie er zur Arbeit kom­men kön­nte und daraufhin mit erhe­blich­er Ver­spä­tung im Büro ein­trifft, muss damit rech­nen, dass der Arbeit­ge­ber dieses Fehlver­hal­ten abmahnt.

Wichtig ist zudem, den Arbeit­ge­ber rechtzeit­ig zu informieren. Stelle ich am Mon­tag fest, dass ich es trotz mein­er Alter­na­tiv­pla­nung ein­fach nicht schaf­fen werde, rechtzeit­ig im Betrieb zu erscheinen, muss ich meinen Arbeit­ge­ber hierüber umge­hend informieren“, so Arbeit­srecht­san­walt Fuhlrott.

Unberechtigte Krankmel­dung kann Kündi­gung zur Folge haben

Wer als Arbeit­nehmer nun auf die ver­meintlich kreative Idee kom­men sollte, sich die stres­sige Anreise durch eine Krankmel­dung zu ers­paren und sich am Mon­tag lieber krankmeldet, ohne tat­säch­lich arbeit­sun­fähig zu sein, bege­ht eine schwere Pflichtverletzung:

Kommt der Arbeit­ge­ber dahin­ter, dass die Krankmel­dung nur vor­getäuscht war, bege­ht eine schwere arbeitsver­tragliche Pflichtver­let­zung. Dann eine frist­lose Kündi­gung und der Ver­lust des Arbeit­splatzes“, so Prof. Dr. Fuhlrott.

Alter­na­tiv: Homeoffice?

Nicht alle Tätigkeit­en eignen sich für das home­of­fice. Selb­st wenn der Arbeit­splatz aber an sich dafür geeignet ist, darf der Arbeit­nehmer nicht ein­seit­ig entschei­den, am Mon­tag aus dem home­of­fice her­aus zu arbeit­en: „Der Arbeit­nehmer darf auch nur dann im home­of­fice arbeit­en, wenn er mit dem Arbeit­ge­ber dazu eine Regelung getrof­fen hat oder es gel­tende betriebliche Regelun­gen zum home­of­fice gibt. Ein ein­seit­iges Recht, in ein­er Kon­stel­la­tion wie vor­liegend von zuhause aus zu arbeit­en, gibt es nicht“, so Arbeit­srechtler Fuhlrott. 

Natür­lich ist es in solchen Fällen sin­nvoll, wenn Arbeit­ge­ber hier Ver­ständ­nis auf­brin­gen und dies dem Arbeit­nehmer ermöglichen. Hier ist aber die vorherige Abstim­mung zwin­gend. Im Zweifel muss der Arbeit­nehmer rechtzeit­ig auf den Arbeit­ge­ber zuge­hen und das Prob­lem ansprechen“, so Fuhlrott weiter.

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