Bun­de­sar­beits­gericht, Beschluss vom 02.12.2021, AZ 5 AZR 334/21

Aus­gabe: 11–2021

Fahrrad­liefer­an­ten (soge­nan­nte „Rid­er“), die Speisen und Getränke aus­liefern und ihre Aufträge über eine Smart­phone-App erhal­ten, haben Anspruch darauf, dass der Arbeit­ge­ber ihnen die für die Ausübung ihrer Tätigkeit essen­tiellen Arbeitsmit­tel zur Ver­fü­gung stellt. Dazu gehören ein verkehrstüchtiges Fahrrad und ein geeignetes inter­net­fähiges Mobil­tele­fon. Von diesem Grund­satz kön­nen ver­traglich Abwe­ichun­gen vere­in­bart wer­den. Geschieht dies in All­ge­meinen Geschäfts­be­din­gun­gen des Arbeit­ge­bers, sind diese nur dann wirk­sam, wenn dem Arbeit­nehmer für die Nutzung des eige­nen Fahrrads und Mobil­tele­fons eine angemessene finanzielle Kom­pen­sa­tion­sleis­tung zusagt wird.

Der Kläger ist bei der Beklagten als Fahrrad­liefer­ant beschäftigt. Er liefert Speisen und Getränke aus, die Kun­den über das Inter­net bei ver­schiede­nen Restau­rants bestellen. Er benutzt für seine Liefer­fahrten sein eigenes Fahrrad und sein eigenes Mobil­tele­fon. Die Verpflich­tung hierzu ergibt sich aus den ver­traglichen Vere­in­barun­gen der Parteien, bei denen es sich um All­ge­meine Geschäfts­be­din­gun­gen han­delt. Die Beklagte gewährt den bei ihr täti­gen Fahrrad­liefer­an­ten eine Reparaturgutschrift von 0,25 Euro pro gear­beit­eter Stunde, die auss­chließlich bei einem von ihr bes­timmten Unternehmen ein­gelöst wer­den kann. Mit sein­er Klage hat der Kläger ver­langt, dass die Beklagte ihm ein verkehrstüchtiges Fahrrad und ein geeignetes Mobil­tele­fon für seine ver­traglich vere­in­barte Tätigkeit zur Ver­fü­gung stellt. Er hat gemeint, die Beklagte sei hierzu verpflichtet, weil es in den Auf­gaben- und Ver­ant­wor­tungs­bere­ich des Arbeit­ge­bers falle, die notwendi­gen Arbeitsmit­tel bere­itzustellen. Dieser Grund­satz sei ver­traglich nicht wirk­sam abbedun­gen wor­den. Dage­gen hat die Beklagte Klage­ab­weisung beantragt und gel­tend gemacht, die ver­tragliche Regelung sei wirk­sam. Da die bei ihr als Fahrrad­liefer­an­ten beschäftigten Arbeit­nehmer ohne­hin über ein Fahrrad und ein inter­net­fähiges Mobil­tele­fon ver­fügten, wür­den sie durch die Ver­wen­dung ihrer eige­nen Geräte nicht bzw. nicht erhe­blich belastet. Darüber hin­aus seien etwaige Nachteile durch die geset­zlich vorge­se­hene Möglichkeit, Aufwen­dungser­satz gel­tend machen zu kön­nen, und – bezüglich des Fahrrads – durch das von ihr gewährte Reparatur­bud­get ausgeglichen.

Das Lan­desar­beits­gericht hat der Klage stattgegeben. Die von ihm zuge­lassene Revi­sion der Beklagten hat keinen Erfolg. 

Die in den All­ge­meinen Geschäfts­be­din­gun­gen vere­in­barte Nutzung des eige­nen Fahrrads und Mobil­tele­fons benachteiligt den Kläger unangemessen iSv. § 307 Abs. 2 Nr. 1 iVm Abs. 1 Satz 1 BGB und ist daher unwirk­sam. Die Beklagte wird durch diese Regelung von entsprechen­den Anschaf­fungs- und Betrieb­skosten ent­lastet und trägt nicht das Risiko, für Ver­schleiß, Wertver­fall, Ver­lust oder Beschädi­gung der essen­tiellen Arbeitsmit­tel ein­ste­hen zu müssen. Dieses liegt vielmehr beim Kläger. Das wider­spricht dem geset­zlichen Grundgedanken des Arbeitsver­hält­niss­es, wonach der Arbeit­ge­ber die für die Ausübung der vere­in­barten Tätigkeit wesentlichen Arbeitsmit­tel zu stellen und für deren Funk­tions­fähigkeit zu sor­gen hat. Eine aus­re­ichende Kom­pen­sa­tion dieses Nachteils ist nicht erfol­gt. Die von Geset­zes wegen beste­hende Möglichkeit, über § 670 BGB Aufwen­dungser­satz ver­lan­gen zu kön­nen, stellt keine angemessene Kom­pen­sa­tion dar. Es fehlt insoweit an ein­er geson­derten ver­traglichen Vere­in­barung. Zudem würde auch eine Klausel, die nur die ohne­hin gel­tende Recht­slage wieder­holt, keinen angemesse­nen Aus­gle­ich schaf­fen. Die Höhe des dem Kläger zur Ver­fü­gung gestell­ten Reparatur­bud­gets ori­en­tiert sich nicht an der Fahrleis­tung, son­dern an der damit nur mit­tel­bar zusam­men­hän­gen­den Arbeit­szeit. Der Kläger kann über das Bud­get auch nicht frei ver­fü­gen, son­dern es nur bei einem vom Arbeit­ge­ber bes­timmten Unternehmen ein­lösen. In der Wahl der Werk­statt ist er nicht frei. Für die Nutzung des Mobil­tele­fons ist über­haupt kein finanzieller Aus­gle­ich vorge­se­hen. Der Kläger kann deshalb von der Beklagten nach § 611a Abs. 1 BGB ver­lan­gen, dass diese ihm die für die vere­in­barte Tätigkeit als „Rid­er“ notwendi­gen essen­tiellen Arbeitsmit­tel – ein geeignetes verkehrstüchtiges Fahrrad und ein geeignetes Mobil­tele­fon, auf das die Liefer­aufträge und ‑adressen mit der hier­für ver­wen­de­ten App über­mit­telt wer­den – bere­it­stellt. Er kann nicht auf nachge­lagerte Ansprüche wie Aufwen­dungser­satz oder Annah­mev­erzugslohn ver­wiesen werden.

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