Arbeitnehmereigenschaft von „Crowdworkern“

 

Bun­de­sar­beits­gericht, Beschluss vom 01.02.2021, AZ 9 AZR 102/20

Aus­gabe: 1–2021

Die tat­säch­liche Durch­führung von Kle­in­staufträ­gen („Mikro­jobs“) durch Nutzer ein­er Online-Plat­tform („Crowd­work­er“) auf der Grund­lage ein­er mit deren Betreiber („Crowd­sourcer“) getrof­fe­nen Rah­men­vere­in­barung kann ergeben, dass die rechtliche Beziehung als Arbeitsver­hält­nis zu qual­i­fizieren ist.

Die Beklagte kon­trol­liert im Auf­trag ihrer Kun­den die Präsen­ta­tion von Marken­pro­duk­ten im Einzel­han­del und an Tankstellen. Die Kon­trolltätigkeit­en selb­st lässt sie durch Crowd­work­er aus­führen. Deren Auf­gabe beste­ht ins­beson­dere darin, Fotos von der Waren­präsen­ta­tion anzufer­ti­gen und Fra­gen zur Wer­bung von Pro­duk­ten zu beant­worten. Auf der Grund­lage ein­er „Basis-Vere­in­barung“ und all­ge­mein­er Geschäfts­be­din­gun­gen bietet die Beklagte die „Mikro­jobs“ über eine Online-Plat­tform an. Über einen per­sön­lich ein­gerichteten Account kann jed­er Nutzer der Online-Plat­tform auf bes­timmte Verkauf­sstellen bezo­gene Aufträge annehmen, ohne dazu ver­traglich verpflichtet zu sein. Übern­immt der Crowd­work­er einen Auf­trag, muss er diesen regelmäßig bin­nen zwei Stun­den nach detail­lierten Vor­gaben des Crowd­sourcers erledi­gen. Für erledigte Aufträge wer­den ihm auf seinem Nutzerkon­to Erfahrungspunk­te gut­geschrieben. Das Sys­tem erhöht mit der Anzahl erledigter Aufträge das Lev­el und ges­tat­tet die gle­ichzeit­ige Annahme mehrerer Aufträge.

Der Kläger führte für die Beklagte zulet­zt in einem Zeitraum von elf Monat­en 2978 Aufträge aus, bevor sie im Feb­ru­ar 2018 mit­teilte, ihm zur Ver­mei­dung kün­ftiger Unstim­migkeit­en keine weit­eren Aufträge mehr anzu­bi­eten. Mit sein­er Klage hat er zunächst beantragt festzustellen, dass zwis­chen den Parteien ein unbe­fris­tetes Arbeitsver­hält­nis beste­ht. Im Ver­lauf des Rechtsstre­its kündigte die Beklagte am 24. Juni 2019 ein etwaig beste­hen­des Arbeitsver­hält­nis vor­sor­glich. Daraufhin hat der Kläger seine Klage, mit der er außer­dem ua. Vergü­tungsansprüche ver­fol­gt, um einen Kündi­gungss­chutzantrag erweit­ert. Die Vorin­stanzen haben die Klage abgewiesen. Sie haben das Vor­liegen eines Arbeitsver­hält­niss­es der Parteien verneint.

Die Revi­sion des Klägers hat­te teil­weise Erfolg. Der Neunte Sen­at des Bun­de­sar­beits­gerichts hat erkan­nt, dass der Kläger im Zeit­punkt der vor­sor­glichen Kündi­gung vom 24. Juni 2019 in einem Arbeitsver­hält­nis bei der Beklagten stand.

Die Arbeit­nehmereigen­schaft hängt nach § 611a BGB davon ab, dass der Beschäftigte weisungs­ge­bun­dene, fremdbes­timmte Arbeit in per­sön­lich­er Abhängigkeit leis­tet. Zeigt die tat­säch­liche Durch­führung eines Ver­tragsver­hält­niss­es, dass es sich hier­bei um ein Arbeitsver­hält­nis han­delt, kommt es auf die Beze­ich­nung im Ver­trag nicht an. Die dazu vom Gesetz ver­langte Gesamtwürdi­gung aller Umstände kann ergeben, dass Crowd­work­er als Arbeit­nehmer anzuse­hen sind. Für ein Arbeitsver­hält­nis spricht es, wenn der Auf­tragge­ber die Zusam­me­nar­beit über die von ihm betriebene Online-Plat­tform so steuert, dass der Auf­trag­nehmer infolge dessen seine Tätigkeit nach Ort, Zeit und Inhalt nicht frei gestal­ten kann. So liegt der entsch­iedene Fall. Der Kläger leis­tete in arbeit­nehmer­typ­is­ch­er Weise weisungs­ge­bun­dene und fremdbes­timmte Arbeit in per­sön­lich­er Abhängigkeit. Zwar war er ver­traglich nicht zur Annahme von Ange­boten der Beklagten verpflichtet. Die Organ­i­sa­tion­sstruk­tur der von der Beklagten betriebe­nen Online-Plat­tform war aber darauf aus­gerichtet, dass über einen Account angemeldete und eingear­beit­ete Nutzer kon­tinuier­lich Bün­del ein­fach­er, Schritt für Schritt ver­traglich vorgegeben­er Kle­in­staufträge annehmen, um diese per­sön­lich zu erledi­gen. Erst ein mit der Anzahl durchge­führter Aufträge erhöht­es Lev­el im Bew­er­tungssys­tem ermöglicht es den Nutzern der Online-Plat­tform, gle­ichzeit­ig mehrere Aufträge anzunehmen, um diese auf ein­er Route zu erledi­gen und damit fak­tisch einen höheren Stun­den­lohn zu erzie­len. Durch dieses Anreizsys­tem wurde der Kläger dazu ver­an­lasst, in dem Bezirk seines gewöhn­lichen Aufen­thalt­sorts kon­tinuier­lich Kon­trolltätigkeit­en zu erledigen.
Der Neunte Sen­at des Bun­de­sar­beits­gerichts hat die Revi­sion des Klägers gle­ich­wohl über­wiegend zurück­gewiesen, da die vor­sor­glich erk­lärte Kündi­gung das Arbeitsver­hält­nis der Parteien wirk­sam been­det hat. Hin­sichtlich der vom Kläger gel­tend gemacht­en Vergü­tungsansprüche wurde der Rechtsstre­it an das Lan­desar­beits­gericht zurück­ver­wiesen. Der Kläger kann nicht ohne weit­eres Vergü­tungszahlung nach Maß­gabe sein­er bish­er als ver­meintlich freier Mitar­beit­er bezo­ge­nen Hon­o­rare ver­lan­gen. Stellt sich ein ver­meintlich freies Dien­stver­hält­nis im Nach­hinein als Arbeitsver­hält­nis dar, kann in der Regel nicht davon aus­ge­gan­gen wer­den, die für den freien Mitar­beit­er vere­in­barte Vergü­tung sei der Höhe nach auch für eine Beschäf­ti­gung als Arbeit­nehmer verabre­det. Geschuldet ist die übliche Vergü­tung iSv. § 612 Abs. 2 BGB, deren Höhe das Lan­desar­beits­gericht aufzuk­lären hat.

Weit­ere Infor­ma­tio­nen: https://juris.bundesarbeitsgericht.de/cgi-bin/r…

 
 
 
 

Arbeitnehmereigenschaft von „Crowdworkern“

 

Bun­de­sar­beits­gericht, Beschluss vom 01.02.2021, AZ 9 AZR 102/20

Aus­gabe: 1–2021

Die tat­säch­liche Durch­führung von Kle­in­staufträ­gen („Mikro­jobs“) durch Nutzer ein­er Online-Plat­tform („Crowd­work­er“) auf der Grund­lage ein­er mit deren Betreiber („Crowd­sourcer“) getrof­fe­nen Rah­men­vere­in­barung kann ergeben, dass die rechtliche Beziehung als Arbeitsver­hält­nis zu qual­i­fizieren ist.

Die Beklagte kon­trol­liert im Auf­trag ihrer Kun­den die Präsen­ta­tion von Marken­pro­duk­ten im Einzel­han­del und an Tankstellen. Die Kon­trolltätigkeit­en selb­st lässt sie durch Crowd­work­er aus­führen. Deren Auf­gabe beste­ht ins­beson­dere darin, Fotos von der Waren­präsen­ta­tion anzufer­ti­gen und Fra­gen zur Wer­bung von Pro­duk­ten zu beant­worten. Auf der Grund­lage ein­er „Basis-Vere­in­barung“ und all­ge­mein­er Geschäfts­be­din­gun­gen bietet die Beklagte die „Mikro­jobs“ über eine Online-Plat­tform an. Über einen per­sön­lich ein­gerichteten Account kann jed­er Nutzer der Online-Plat­tform auf bes­timmte Verkauf­sstellen bezo­gene Aufträge annehmen, ohne dazu ver­traglich verpflichtet zu sein. Übern­immt der Crowd­work­er einen Auf­trag, muss er diesen regelmäßig bin­nen zwei Stun­den nach detail­lierten Vor­gaben des Crowd­sourcers erledi­gen. Für erledigte Aufträge wer­den ihm auf seinem Nutzerkon­to Erfahrungspunk­te gut­geschrieben. Das Sys­tem erhöht mit der Anzahl erledigter Aufträge das Lev­el und ges­tat­tet die gle­ichzeit­ige Annahme mehrerer Aufträge.

Der Kläger führte für die Beklagte zulet­zt in einem Zeitraum von elf Monat­en 2978 Aufträge aus, bevor sie im Feb­ru­ar 2018 mit­teilte, ihm zur Ver­mei­dung kün­ftiger Unstim­migkeit­en keine weit­eren Aufträge mehr anzu­bi­eten. Mit sein­er Klage hat er zunächst beantragt festzustellen, dass zwis­chen den Parteien ein unbe­fris­tetes Arbeitsver­hält­nis beste­ht. Im Ver­lauf des Rechtsstre­its kündigte die Beklagte am 24. Juni 2019 ein etwaig beste­hen­des Arbeitsver­hält­nis vor­sor­glich. Daraufhin hat der Kläger seine Klage, mit der er außer­dem ua. Vergü­tungsansprüche ver­fol­gt, um einen Kündi­gungss­chutzantrag erweit­ert. Die Vorin­stanzen haben die Klage abgewiesen. Sie haben das Vor­liegen eines Arbeitsver­hält­niss­es der Parteien verneint.

Die Revi­sion des Klägers hat­te teil­weise Erfolg. Der Neunte Sen­at des Bun­de­sar­beits­gerichts hat erkan­nt, dass der Kläger im Zeit­punkt der vor­sor­glichen Kündi­gung vom 24. Juni 2019 in einem Arbeitsver­hält­nis bei der Beklagten stand.

Die Arbeit­nehmereigen­schaft hängt nach § 611a BGB davon ab, dass der Beschäftigte weisungs­ge­bun­dene, fremdbes­timmte Arbeit in per­sön­lich­er Abhängigkeit leis­tet. Zeigt die tat­säch­liche Durch­führung eines Ver­tragsver­hält­niss­es, dass es sich hier­bei um ein Arbeitsver­hält­nis han­delt, kommt es auf die Beze­ich­nung im Ver­trag nicht an. Die dazu vom Gesetz ver­langte Gesamtwürdi­gung aller Umstände kann ergeben, dass Crowd­work­er als Arbeit­nehmer anzuse­hen sind. Für ein Arbeitsver­hält­nis spricht es, wenn der Auf­tragge­ber die Zusam­me­nar­beit über die von ihm betriebene Online-Plat­tform so steuert, dass der Auf­trag­nehmer infolge dessen seine Tätigkeit nach Ort, Zeit und Inhalt nicht frei gestal­ten kann. So liegt der entsch­iedene Fall. Der Kläger leis­tete in arbeit­nehmer­typ­is­ch­er Weise weisungs­ge­bun­dene und fremdbes­timmte Arbeit in per­sön­lich­er Abhängigkeit. Zwar war er ver­traglich nicht zur Annahme von Ange­boten der Beklagten verpflichtet. Die Organ­i­sa­tion­sstruk­tur der von der Beklagten betriebe­nen Online-Plat­tform war aber darauf aus­gerichtet, dass über einen Account angemeldete und eingear­beit­ete Nutzer kon­tinuier­lich Bün­del ein­fach­er, Schritt für Schritt ver­traglich vorgegeben­er Kle­in­staufträge annehmen, um diese per­sön­lich zu erledi­gen. Erst ein mit der Anzahl durchge­führter Aufträge erhöht­es Lev­el im Bew­er­tungssys­tem ermöglicht es den Nutzern der Online-Plat­tform, gle­ichzeit­ig mehrere Aufträge anzunehmen, um diese auf ein­er Route zu erledi­gen und damit fak­tisch einen höheren Stun­den­lohn zu erzie­len. Durch dieses Anreizsys­tem wurde der Kläger dazu ver­an­lasst, in dem Bezirk seines gewöhn­lichen Aufen­thalt­sorts kon­tinuier­lich Kon­trolltätigkeit­en zu erledigen.
Der Neunte Sen­at des Bun­de­sar­beits­gerichts hat die Revi­sion des Klägers gle­ich­wohl über­wiegend zurück­gewiesen, da die vor­sor­glich erk­lärte Kündi­gung das Arbeitsver­hält­nis der Parteien wirk­sam been­det hat. Hin­sichtlich der vom Kläger gel­tend gemacht­en Vergü­tungsansprüche wurde der Rechtsstre­it an das Lan­desar­beits­gericht zurück­ver­wiesen. Der Kläger kann nicht ohne weit­eres Vergü­tungszahlung nach Maß­gabe sein­er bish­er als ver­meintlich freier Mitar­beit­er bezo­ge­nen Hon­o­rare ver­lan­gen. Stellt sich ein ver­meintlich freies Dien­stver­hält­nis im Nach­hinein als Arbeitsver­hält­nis dar, kann in der Regel nicht davon aus­ge­gan­gen wer­den, die für den freien Mitar­beit­er vere­in­barte Vergü­tung sei der Höhe nach auch für eine Beschäf­ti­gung als Arbeit­nehmer verabre­det. Geschuldet ist die übliche Vergü­tung iSv. § 612 Abs. 2 BGB, deren Höhe das Lan­desar­beits­gericht aufzuk­lären hat.

Weit­ere Infor­ma­tio­nen: https://juris.bundesarbeitsgericht.de/cgi-bin/r…