LAr­bG Berlin-Bran­den­burg, Beschluss vom 13.12.2019, AZ 12 Ta 2007/19

I. Auf die sofor­tige Beschw­erde der Klägerin vom 14.11.2019 wird der Beschluss des Arbeits­gerichts Berlin vom 07.11.2019 — 44 Ca 5515/19 — dahin abgeän­dert, dass für die Vergü­tungsklage (Antrag zu 1 a bis k aus der Klageschrift vom 02.05.2019) der Rechtsweg zu den Arbeits­gericht­en für zuläs­sig erk­lärt wird.

II. Die Rechts­beschw­erde wird nicht zugelassen.

Gründe:
I.
1
Die Parteien stre­it­en im Vor­abentschei­dungsver­fahren zum Rechtsweg um die Zuläs­sigkeit des Rechtswegs zu den Arbeits­gericht­en für von der Klägerin klageweise gel­tend gemachte Vergütungsansprüche.
2
Die Klägerin leit­et die Vergü­tungsansprüche aus Ein­sätzen als Schaus­pielerin zwis­chen März 2018 und Feb­ru­ar 2019 her, die sie ihrer Auf­fas­sung nach als deren Arbeit­nehmerin für die Beklagte erbracht hat. Die ver­tragliche Vere­in­barung zwis­chen den Parteien sieht eine pauschale Hon­orierung für jede absolvierte Auf­führung in ein­er nach Regio­nen gestaffel­ten Höhe vor. Die Klage­forderung berech­net die Klägerin, indem sie die monatlich als geleis­tet behaupteten Stun­den mit dem Stun­den­satz mul­ti­pliziert, wie er jew­eils durch oder auf der Grund­lage des Min­dest­lohnge­set­zes (MiLoG) fest­ge­set­zt war. Hier­von bringt sie gemäß der ver­traglichen Vere­in­barung erhal­tene Zahlun­gen in Abzug. Ihrer Auf­fas­sung nach beste­ht eine „Vergü­tungslücke“, die daraus folge, dass ihr tat­säch­lich­er zeitlich­er Ein­satz bemessen nach Min­dest­lohn­grund­sätzen weit über die gezahlten Hon­o­rare hinausgehe.
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Auf Rüge der Beklagten hin hat das Arbeits­gericht Berlin durch Beschluss vom 07.11.2019 fest­gestellt, dass für die Vergü­tungsansprüche der Rechtsweg zu den Gericht­en für Arbeitssachen nicht gegeben ist, und den Rechtsstre­it insoweit an das Landgericht Berlin ver­wiesen. Zur Begrün­dung hat es aus­ge­führt, für die Vergü­tungsansprüche, die sowohl auf einem Arbeitsver­hält­nis als auch auf einem freien Mitar­beit­er­ver­hält­nis beruhen kön­nten, bestünde keine arbeits­gerichtliche Zuständigkeit, da nach dem Vor­trag der Klägerin nicht angenom­men wer­den könne, dass sie in einem Arbeitsver­hält­nis für die Beklagte tätig gewor­den sei.
4
Hierge­gen richtet sich die sofor­tige Beschw­erde der Klägerin, die sie nach Zustel­lung des ange­grif­f­e­nen Beschlusses am 12.11.2019 mit Schrift­satz vom 14.11.2019 am 15.11.2019 zum Arbeits­gericht ein­gelegt hat. Die Klägerin hält an ihrer Auf­fas­sung fest, sie habe die Ein­sätze für die Beklagte auf der Grund­lage von jew­eils auf den einzel­nen Auf­trag bezo­ge­nen und rechtlich als Ket­te­nar­beitsverträ­gen zu wer­tenden Verträ­gen erbracht.
5
Die Beklagte begehrt die Zurück­weisung der sofor­ti­gen Beschw­erde. Sie ver­weist auf den zwis­chen den Parteien geschlosse­nen Ver­trag, der auf eine selb­ständi­ge Tätigkeit der Klägerin gezielt habe und so umge­set­zt wor­den sei.
6
Am 15.11.2019 hat das Arbeits­gericht Berlin beschlossen, der Beschw­erde nicht abzuhelfen.
7
Auf Anhörung mit gerichtlichen Schreiben vom 03.12.2019 hat die Klägerin mit Schrift­satz vom 12.12.2019 bestätigt, dass sie mit der Klage die Zahlung des Min­dest­lohns begehrt.

II.
8
Die sofor­tige Beschw­erde ist zuläs­sig und begrün­det. Der Beschluss ist dahin abzuän­dern, dass wegen der Vergü­tungsklage die Zuläs­sigkeit des beschrit­te­nen Rechtswegs zu den Gericht­en für Arbeitssachen auszus­prechen ist.

1.
9
Die gemäß § 17a Abs. 4 Satz 3 Gerichtsver­fas­sungs­ge­setz (GVG) iVm. § 48 Abs. 1 Arbeits­gerichts­ge­setz (ArbGG) statthafte sofor­tige Beschw­erde hat die Klägerin den Anforderun­gen aus § 78 Satz 1 ArbGG, § 569 Abs. 1 und 2 Zivil­prozes­sor­d­nung (ZPO) gemäß form- und frist­gerecht ein­gelegt. Sie ist daher zulässig.

2.
10
Die sofor­tige Beschw­erde der Klägerin ist begrün­det. Ihre Vergü­tungsklage ist eine bürg­er­lich-rechtliche Stre­it­igkeit zwis­chen Arbeit­nehmer und Arbeit­ge­ber aus dem Arbeitsver­hält­nis, wie sie § 2a Abs. 1 Nr. 4a ArbGG den Gericht­en für Arbeitssachen zuweist.
11
a) Hier­für kommt es nicht darauf an, ob die Klägerin ihre Einord­nung als Arbeit­nehmerin im Sinne von § 5 Abs. 1 Satz 1 ArbGG zumin­d­est schlüs­sig dargelegt hat. Die Zuständigkeit der Arbeits­gerichte fol­gt vielmehr aus dem Gesicht­spunkt, dass die Klägerin ihre Arbeit­nehmereigen­schaft behauptet und der klageweise gel­tend gemachte Min­dest­lohnanspruch nur dann begrün­det sein kann, wenn die Klägerin als Arbeit­nehmerin für die Beklagte tätig war.
12
Für solche Fälle der Dop­pel­rel­e­vanz der Arbeit­nehmereigen­schaft – mit ein­er Wen­dung aus der lateinis­chen Sprache als sic-non-Fälle beze­ich­net – eröffnet die bloße Recht­san­sicht der Klagepartei, es han­dele sich um ein Arbeitsver­hält­nis, den Rechtsweg zu den Gericht­en für Arbeitssachen (BAG, 21.01.2019 — 9 AZB 23/18, Rn 20 mwN; BAG, 24.04.1996 — 5 AZB 25/95, unter II 4 b). Diese Recht­sprechung recht­fer­tigt sich daraus, dass bei dop­pel­rel­e­van­ter Arbeit­nehmereigen­schaft mit der Vernei­n­ung der Zuständigkeit der Rechtsstre­it in der Sache prak­tisch entsch­ieden ist. Ihre Beach­tung ver­mei­det, dass es im Falle der fehlen­den Arbeit­nehmereigen­schaft zur sinnlosen Ver­weisung des in der Sache aus­sicht­losen Rechtsstre­ites kommt. Auch Zahlungskla­gen kön­nen sic-non-Fälle darstellen, wenn die allein in Betra­cht kom­mende Anspruchs­grund­lage nur für Arbeit­nehmer gilt (ErfK/Koch, 20. Aufl. 2020, ArbGG § 2 Rn. 37; GK-ArbG­G/Schütz § 2 Rn 281a).
13
b) Vor­liegend ist ein Fall der Dop­pel­rel­e­vanz der Arbeit­nehmereigen­schaft gegeben.
14
Wie es sich aus Begrün­dung und Berech­nung der Klage­forderung ergibt und wie die Klägerin in der Anhörung klargestellt hat, macht sie mit der Klage den Anspruch auf den geset­zlichen Min­dest­lohn gel­tend. Die Klage ist gerichtet auf die Dif­ferenz zwis­chen der vere­in­barten und gewährten Vergü­tung und dem Min­dest­lohn­satz für jede als geleis­tet behauptete Arbeitsstunde.
15
Nach der geset­zlichen Regelung in § 1 MiLoG sind für den Min­dest­lohn Arbeit­nehmerin­nen und Arbeit­nehmer anspruchs­berechtigt. Andere Per­so­n­en, die nicht gemäß der näheren Bes­tim­mung zum anspruchs­berechtigten Per­so­n­enkreis in § 22 MiLoG als Arbeit­nehmerin­nen und Arbeit­nehmer ein­ge­ord­net wer­den kön­nen, kön­nen sich auf den geset­zlichen Anspruch aus § 1 MiLoG nicht berufen.
16
Somit gehört die Klage auf den geset­zlichen Min­dest­lohn zu den sic-non-Fällen (vgl. Clemens, in: HK-MiLoG, 2. Aufl. 2017, § 1 Rn 106). Den Min­dest­lohn muss der Arbeit­nehmer vor den Arbeits­gericht­en ein­kla­gen (Lakies, Min­dest­lohnge­setz, 4. Aufl. 2015, § 1 MiLoG Rn 103). Bere­its die Rechts­be­haup­tung des Min­dest­lohn­klägers in Bezug auf ein im Anspruch­szeitraum beste­hen­des Arbeitsver­hält­nis ist rechtsweg­be­grün­dend (Riechert/Nimmerjahn, MiLoG, MiLoG § 1 Rn. 227).
17
c) Der Hin­weis der Vorin­stanz auf eine mögliche Anspruchs­grund­lage außer­halb eines Arbeitsver­trags trifft auf ver­tragliche Ent­geltansprüche zu. Anspruchs­grund­la­gen sind hier bei der Erbringung von Arbeit § 611a BGB und für die freie Mitar­beit also die Erbringung von Dien­sten außer­halb per­sön­lich­er Abhängigkeit § 611 BGB.
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Dabei kann ein ver­traglich­er Vergü­tungsanspruch daraus hergeleit­et wer­den, dass die ver­tragliche Ent­geltabrede als unwirk­sam ange­se­hen und deshalb ein Ent­gelt in Höhe der üblichen Vergü­tung iSv. § 612 Abs. 2 BGB beansprucht wird. Beispiele sind die Klage auf weit­ere Ent­loh­nung wegen Unwirk­samkeit ein­er Vere­in­barung über Über­stun­den­abgel­tung oder wegen Lohn­wuch­er. Eine solche Klage hat die Klägerin aber nicht erhoben.
19
Die von der Klägerin erhobene Min­dest­lohn­klage ist von ver­traglichen Ent­geltansprüchen zu unter­schei­den. Die Klägerin macht einen geset­zlichen Anspruch, näm­lich den Anspruch auf Min­dest­lohn gel­tend. Der Min­dest­lohnanspruch aus § 1 Abs. 1 MiLoG ist ein geset­zlich­er Anspruch, der eigen­ständig neben den arbeits- oder tar­ifver­traglichen Ent­geltanspruch tritt (BAG 25.05.2016 — 5 AZR 135/16 — Rn. 22) und in dem Falle, dass die ver­tragliche Vere­in­barung den Anspruch auf Min­dest­lohn unter­schre­it­et, zu einem Dif­feren­zanspruch gemäß § 3 MiLoG führt (BAG, 21.12.2016 — 5 AZR 374/16, Rn. 16).

3.
20
Eine Koste­nentschei­dung hat nicht zu erge­hen (vgl. Schwab/Weth, Hrsg., in: Schwab/Weth, ArbGG, 5. Aufl. 2018, § 48 ArbGG, Rn 72). Die Ver­fahren­skosten wer­den von der Haupt­sacheentschei­dung mit erfasst (vgl. GMP/Germelmann/Künzl, 9. Aufl. 2017, ArbGG § 48 Rn. 131).
21
Für die Zulas­sung der Rechts­beschw­erde beste­ht keine Veranlassung.
22
Gegen die Entschei­dung kein weit­eres Rechtsmit­tel gegeben.

Weit­ere Infor­ma­tio­nen: http://www.gerichtsentscheidungen.berlin-brande…