Bun­de­sar­beits­gericht, Beschluss vom 02.05.2023, AZ 5 AZR 255/22

Aus­gabe: 04–2023

Kündigt der Arbeit­ge­ber das Arbeitsver­hält­nis frist­los, weil er meint, die Fort­set­zung des Arbeitsver­hält­niss­es sei ihm nicht zuzu­muten, bietet aber gle­ichzeit­ig dem Arbeit­nehmer „zur Ver­mei­dung von Annah­mev­erzug“ die Weit­erbeschäf­ti­gung zu unverän­derten Bedin­gun­gen während des Kündi­gungss­chutzprozess­es an, ver­hält er sich wider­sprüch­lich. In einem solchen Fall spricht eine tat­säch­liche Ver­mu­tung dafür, dass das Beschäf­ti­gungsange­bot nicht ernst gemeint ist. Diese Ver­mu­tung kann durch die Begrün­dung der Kündi­gung zur Gewis­sheit oder durch entsprechende Dar­legun­gen des Arbeit­ge­bers entkräftet werden.

Der Kläger war seit dem 16. August 2018 bei der Beklagten als tech­nis­ch­er Leit­er beschäftigt und hat 5.250,00 Euro brut­to monatlich ver­di­ent. Mit Schreiben vom 2. Dezem­ber 2019 sprach die Beklagte eine frist­lose Änderungskündi­gung aus, mit der sie dem Kläger einen neuen Arbeitsver­trag als Soft­wa­reen­twick­ler gegen eine auf 3.750,00 Euro brut­to monatlich ver­min­derte Vergü­tung anbot. Weit­er heißt es in dem Kündi­gungss­chreiben, „im Falle der Ablehnung der außeror­dentlichen Kündi­gung durch Sie (also im Falle, dass Sie von einem unaufgelösten Arbeitsver­hält­nis aus­ge­hen) oder im Falle der Annahme des fol­gen­den Ange­bots erwarten wir Sie am 05.12.2019 spätestens um 12:00 Uhr MEZ zum Arbeit­santritt“. Der Kläger lehnte das Änderungsange­bot ab und erschien auch nicht zur Arbeit. Daraufhin kündigte die Beklagte mit Schreiben vom 14. Dezem­ber 2019 das Arbeitsver­hält­nis erneut und zwar „außeror­dentlich zum 17.12.2019 um 12:00 Uhr MEZ“. Fern­er wies sie darauf hin, „im Falle der Ablehnung dieser außeror­dentlichen Kündi­gung“ erwarte sie den Kläger „am 17.12.2019 spätestens um 12:00 Uhr MEZ zum Arbeit­santritt“. Dem leis­tete der Kläger nicht Folge. In dem von ihm anhängig gemacht­en Kündi­gungss­chutzprozess wurde recht­skräftig fest­gestellt, dass bei­de Kündi­gun­gen das Arbeitsver­hält­nis der Parteien nicht aufgelöst haben.

Nach­dem die Beklagte für den Monat Dezem­ber 2019 nur noch eine Vergü­tung von 765,14 Euro brut­to zahlte und der Kläger erst zum 1. April 2020 ein neues Arbeitsver­hält­nis begrün­den kon­nte, hat er Klage auf Vergü­tung wegen Annah­mev­erzugs erhoben, mit der er die Zahlung des arbeitsver­traglich vere­in­barten Gehalts abzüglich des erhal­te­nen Arbeit­slosen­geldes bis zum Antritt der neuen Beschäf­ti­gung ver­langt. Er hat gemeint, die Beklagte habe sich im Stre­itzeitraum auf­grund ihrer unwirk­samen Kündi­gun­gen im Annah­mev­erzug befun­den. Eine Weit­erbeschäf­ti­gung bei der Beklagten zu geän­derten oder auch den ursprünglichen Arbeits­be­din­gun­gen sei ihm, sofern die Beklagte dies über­haupt ern­sthaft ange­boten habe, nicht zuzu­muten gewe­sen. Die Beklagte habe ihm zur Begrün­dung ihrer frist­losen Kündi­gun­gen in umfan­gre­ichen Aus­führun­gen zu Unrecht man­nig­fach­es Fehlver­hal­ten vorge­wor­fen und seine Per­son her­abgewürdigt. Sie habe ihrer­seits gel­tend gemacht, eine Weit­erbeschäf­ti­gung des Klägers sei ihr unzu­mut­bar. Dage­gen hat die Beklagte gemeint, sie habe sich nicht im Annah­mev­erzug befun­den, weil der Kläger während des Kündi­gungss­chutzprozess­es nicht bei ihr weit­ergear­beit­et habe. Der Kläger sei selb­st von der Zumut­barkeit der Weit­erbeschäf­ti­gung aus­ge­gan­gen, weil er im Kündi­gungss­chutzprozess einen Antrag auf vor­läu­fige Weit­erbeschäf­ti­gung gestellt habe.

Das Arbeits­gericht hat die Klage abgewiesen. Das Lan­desar­beits­gericht hat die Beru­fung des Klägers zurück­gewiesen. Es hat angenom­men, der Kläger habe trotz der unwirk­samen Kündi­gun­gen der Beklagten keinen Anspruch auf Annah­mev­erzugsvergü­tung, weil er das Ange­bot der Beklagten, während des Kündi­gungss­chutzprozess­es bei ihr weit­erzuar­beit­en, nicht angenom­men habe. Der Kläger sei deshalb nicht leis­tungswillig iSd. § 297 BGB gewesen.

Die vom Fün­ften Sen­at des Bun­de­sar­beits­gerichts nachträglich zuge­lassene Revi­sion des Klägers war erfolgreich. 

Die Beklagte befand sich auf­grund ihrer unwirk­samen frist­losen Kündi­gun­gen im Annah­mev­erzug, ohne dass es eines Arbeit­sange­bots des Klägers bedurft hätte. Weil die Beklagte selb­st davon aus­ging, eine Weit­erbeschäf­ti­gung des Klägers sei ihr nicht zuzu­muten, spricht wegen ihres wider­sprüch­lichen Ver­hal­tens eine tat­säch­liche Ver­mu­tung dafür, dass sie dem Kläger kein ern­st­ge­meintes Ange­bot zu ein­er Prozess­beschäf­ti­gung unter­bre­it­ete. Die abwe­ichende Beurteilung durch das Lan­desar­beits­gericht beruht auf ein­er nur selek­tiv­en Berück­sich­ti­gung des Parteivor­trags und ist schon deshalb nicht vertret­bar. Darüber hin­aus lässt die Ablehnung eines solchen „Ange­bots“ nicht auf einen fehlen­den Leis­tungswillen des Klägers iSd. § 297 BGB schließen. Es käme lediglich in Betra­cht, dass er sich nach § 11 Nr. 2 KSchG böswillig unter­lasse­nen Ver­di­enst anrech­nen lassen müsste. Das schied im Stre­it­fall jedoch aus, weil dem Kläger auf­grund der gegen ihn im Rah­men der Kündi­gun­gen erhobe­nen Vor­würfe und der Her­ab­würdi­gung sein­er Per­son eine Prozess­beschäf­ti­gung bei der Beklagten nicht zuzu­muten war. Dem ste­ht nicht ent­ge­gen, dass der Kläger im Kündi­gungss­chutzprozess vor­läu­fige Weit­erbeschäf­ti­gung beantragt hat. Dieser Antrag war auf die Prozess­beschäf­ti­gung nach fest­gestell­ter Unwirk­samkeit der Kündi­gun­gen gerichtet. Nur wenn der Kläger in einem solchen Fall die Weit­erbeschäf­ti­gung abgelehnt hätte, hätte er sich sein­er­seits wider­sprüch­lich ver­hal­ten. Hier ging es indes um die Weit­erbeschäf­ti­gung in der Zeit bis zur erstin­stan­zlichen Entschei­dung. Es macht einen Unter­schied, ob der Arbeit­nehmer trotz der gegen ihn im Rah­men ein­er ver­hal­tens­be­d­ingten Kündi­gung erhobe­nen (gravieren­den) Vor­würfe weit­er­ar­beit­en soll oder er nach erstin­stan­zlichem Obsiegen im Kündi­gungss­chutzprozess gle­ich­sam „reha­bil­i­tiert“ in den Betrieb zurück­kehren kann.

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