Bun­de­sar­beits­gericht, Beschluss vom 29.03.2021, AZ 6 AZR 264/20

Aus­gabe: 03–2021

Ob ärztlich­er Hin­ter­grund­di­enst nach § 9 des Tar­ifver­trags für Ärztin­nen und Ärzte an Uni­ver­sität­skliniken (TV-Ärzte/T­dL) zu vergü­tende Ruf­bere­itschaft oder Bere­itschafts­di­enst ist, hängt davon ab, ob der Arbeit­ge­ber den Arbeit­nehmer durch eine Vor­gabe ins­beson­dere hin­sichtlich der Zeit zwis­chen Abruf und Auf­nahme der Arbeit zwingt, sich an einem bes­timmten Ort aufzuhal­ten und damit eine fak­tis­che Aufen­thalts­beschränkung vorgibt. Das gilt auch, wenn der ärztliche Hin­ter­grund­di­enst mit ein­er Tele­fon­bere­itschaft ver­bun­den ist.

Der als Ober­arzt beschäftigte Kläger leis­tet im Rah­men seines Arbeitsver­hält­niss­es, auf das der TV-Ärzte/T­dL Anwen­dung find­et, außer­halb sein­er regelmäßi­gen Arbeit­szeit sog. Hin­ter­grund­di­en­ste. Während dieser Zeit ist er verpflichtet, tele­fonisch erre­ich­bar zu sein. Weit­ere aus­drück­liche Vor­gaben hin­sichtlich des Aufen­thalt­sortes oder der Zeitspanne, inner­halb der­er er die Arbeit im Klinikum aufzunehmen hat, macht die Beklagte nicht. Im Rah­men des Hin­ter­grund­di­en­stes kann es sowohl zu Ein­sätzen des Klägers im Klinikum der Beklagten als auch zu rein tele­fonis­chen Inanspruch­nah­men kom­men, wobei let­ztere über­wiegen. Dabei hat der Kläger auch mögliche Organtrans­plan­ta­tion­sange­bote der Stiftung Euro­trans­plant zu bear­beit­en. Hierzu hat er nach dem tele­fonis­chen Ange­bot auf­grund ein­er Vor­gabe der Stiftung Euro­trans­plant inner­halb von 30 Minuten die mit­geteil­ten Dat­en bezüglich Spender, Organ, Patient und Dial­y­searzt zu prüfen, den in Frage kom­menden Patien­ten sowie den zuständi­gen Dial­y­searzt tele­fonisch zu kon­tak­tieren sowie gegenüber Euro­trans­plant zu erk­lären, ob das Organspendeange­bot angenom­men wird. Die dafür erforder­lichen Infor­ma­tio­nen ent­nimmt der Kläger einem mitzuführen­den Aktenord­ner. Die Beklagte vergütet die Hin­ter­grund­di­en­ste gemäß § 9 Abs. 1 TV-Ärzte/T­dL als Ruf­bere­itschaft iSd. § 7 Abs. 6 Satz 1 TV-Ärzte/T­dL.

Der Kläger meint, die Hin­ter­grund­di­en­ste seien auf­grund der mit ihnen ver­bun­de­nen Beschränkun­gen sowie der Anzahl und des zeitlichen Umfangs der tat­säch­lichen Inanspruch­nah­men Bere­itschafts­di­enst und als solch­er zu vergüten. Das Lan­desar­beits­gericht hat dem Kläger für den Zeitraum August 2017 bis Juni 2018 eine Vergü­tungs­d­if­ferenz von knapp 40.000,00 Euro brut­to zugesprochen. 

Die Revi­sion der Beklagten hat­te vor dem Sech­sten Sen­at des Bun­de­sar­beits­gerichts Erfolg. Bei dem vom Kläger geleis­teten Hin­ter­grund­di­enst han­delt es sich um Ruf­bere­itschaft. Ob ein vom Arbeit­ge­ber im Anwen­dungs­bere­ich des TV-Ärzte/T­dL ange­ord­neter (Hintergrund-)Dienst im vergü­tungsrechtlichen Sinn Bere­itschafts­di­enst oder Ruf­bere­itschaft ist, richtet sich auss­chließlich nach nationalem Recht und nicht nach der Arbeit­szeitrichtlin­ie 2003/88/EG. Ruf­bere­itschaft und Bere­itschafts­di­enst unter­schei­den sich nach den tar­i­flichen Def­i­n­i­tio­nen in § 7 Abs. 4 Satz 1 bzw. Abs. 6 Satz 1 TV-Ärzte/T­dL dadurch, dass der Arbeit­nehmer sich nach den Vor­gaben des Arbeit­ge­bers nicht an einem bes­timmten Ort aufhal­ten muss, son­dern seinen Aufen­thalt­sort frei wählen kann. Maßge­blich ist also der Umfang der vom Arbeit­ge­ber ange­ord­neten Aufen­thalts­beschränkung. Dabei ist der Arbeit­nehmer allerd­ings auch bei der Ruf­bere­itschaft in der Wahl seines Aufen­thalt­sortes nicht völ­lig frei. Er darf sich entsprechend dem Zweck der Ruf­bere­itschaft nur so weit von dem Arbeit­sort ent­fer­nt aufhal­ten, dass er die Arbeit dort als­bald aufnehmen kann. Das ist bei dem von der Beklagten ange­ord­neten Hin­ter­grund­di­enst noch der Fall. Mit der Verpflich­tung, einen dien­stlichen Tele­fo­nan­ruf anzunehmen und damit die Arbeit unverzüglich aufzunehmen, ist keine räum­liche Aufen­thalts­beschränkung ver­bun­den. Zeitvor­gaben für die Auf­nahme der Arbeit im Übri­gen beste­hen nicht. Dass uU nach einem Anruf zeit­nah die Arbeit in der Klinik fort­ge­set­zt wer­den muss, ste­ht im Ein­klang mit dem Wesen der Rufbereitschaft.

Allerd­ings unter­sagt § 7 Abs. 6 Satz 2 TV-Ärzte/T­dL dem Arbeit­ge­ber die Anord­nung von Ruf­bere­itschaft, wenn erfahrungs­gemäß nicht lediglich in Aus­nah­me­fällen Arbeit anfällt. Das trifft vor­liegend zu. Der Kläger wird in etwa der Hälfte der Hin­ter­grund­di­en­ste zur Arbeit herange­zo­gen und leis­tet zu 4 % aller Ruf­bere­itschaftsstun­den tat­säch­liche Arbeit. Dabei kommt es ent­ge­gen der Ansicht der Beklagten nicht nur auf die Arbeit­sein­sätze an, die in der Klinik fortzuset­zen sind, was in mehr als einem Vier­tel der Ruf­bere­itschaften vorkommt. In der Gesamtschau dieser Umstände hätte sie die vom Kläger geleis­teten Hin­ter­grund­di­en­ste daher nicht anord­nen dür­fen. Gle­ich­wohl führt dies nicht zu der vom Kläger begehrten höheren Vergü­tung. Ein bes­timmter Arbeit­sleis­tungsan­teil ist nach dem Tar­ifver­trag wed­er dem Bere­itschafts­di­enst noch der Ruf­bere­itschaft begriff­sim­ma­nent. Die Tar­ifver­tragsparteien haben damit bewusst für den Fall ein­er tar­ifwidri­gen Anord­nung von Ruf­bere­itschaft keinen höheren Vergü­tungsanspruch vorge­se­hen. Diesen Willen hat der Sen­at respektiert.

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