Bun­de­sar­beits­gericht, Beschluss vom 03.04.2023, AZ 10 AZR 332/20

Aus­gabe: 03–2023

Eine Regelung in einem Tar­ifver­trag, die für unregelmäßige Nachtar­beit einen höheren Zuschlag vor­sieht als für regelmäßige Nachtar­beit, ver­stößt dann nicht gegen den all­ge­meinen Gle­ich­heitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, wenn ein sach­lich­er Grund für die Ungle­ich­be­hand­lung gegeben ist, der aus dem Tar­ifver­trag erkennbar sein muss. Ein solch­er kann darin liegen, dass mit dem höheren Zuschlag neben den spez­i­fis­chen Belas­tun­gen durch die Nachtar­beit auch die Belas­tun­gen durch die gerin­gere Plan­barkeit eines Arbeit­sein­satzes in unregelmäßiger Nachtar­beit aus­geglichen wer­den sollen.

Die Beklagte ist ein Unternehmen der Getränkein­dus­trie. Die Klägerin leis­tete dort im Stre­itzeitraum Nachtar­beit im Rah­men eines Wech­selschicht­mod­ells. Im Arbeitsver­hält­nis der Parteien gilt der Man­teltar­ifver­trag zwis­chen dem Ver­band der Erfrischungs­getränke-Indus­trie Berlin und Region Ost e.V. und der Gew­erkschaft Nahrung-Genuss-Gast­stät­ten Hauptver­wal­tung vom 24. März 1998 (MTV). Der MTV regelt, dass der Zuschlag zum Stun­de­nent­gelt für regelmäßige Nachtar­beit 20 % und für unregelmäßige Nachtar­beit 50 % beträgt. Arbeitnehmer/innen, die Dauer­nachtar­beit leis­ten oder in einem 3‑Schicht-Wech­sel einge­set­zt wer­den, haben daneben für je 20 geleis­tete Nachtschicht­en Anspruch auf einen Tag Schicht­freizeit. Die Klägerin erhielt für die von ihr geleis­tete regelmäßige Nachtschichtar­beit den Zuschlag iHv. 20 %. Sie ist der Auf­fas­sung, die unter­schiedliche Höhe der Nachtar­beit­szuschläge ver­stoße gegen den all­ge­meinen Gle­ich­heitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Ein sach­lich­er Grund für die unter­schiedliche Behand­lung beste­he unter dem Aspekt des Arbeits- und Gesund­heitss­chutzes, auf den es allein ankomme, nicht. Der Anspruch auf Schicht­freizeit beseit­ige die Ungle­ich­be­hand­lung nicht, da damit nicht die spez­i­fis­chen Belas­tun­gen durch die Nachtar­beit aus­geglichen wür­den. Mit ihrer Klage ver­langt die Klägerin weit­ere Nachtar­beit­szuschläge iHd. Dif­ferenz zwis­chen dem Zuschlag für regelmäßige und unregelmäßige Nachtarbeit.

Das Arbeits­gericht hat die Klage abgewiesen. Das Lan­desar­beits­gericht hat auf die Beru­fung der Klägerin das Urteil des Arbeits­gerichts abgeän­dert und der Klage teil­weise stattgegeben. Auf ein Vor­abentschei­dungser­suchen des Zehn­ten Sen­ats des Bun­de­sar­beits­gerichts (Beschluss vom 9. Dezem­ber 2020 – 10 AZR 332/20 (A) – vgl. PM Nr. 46/20) hat der Gericht­shof der Europäis­chen Union mit Urteil vom 7. Juli 2022 – C‑257/21 – entsch­ieden, dass die Regelung von Nachtar­beit­szuschlä­gen in Tar­ifverträ­gen keine Durch­führung von Union­srecht ist.

Nachge­hend zu dieser Entschei­dung hat­te die Revi­sion der Beklagten vor dem Zehn­ten Sen­at des Bun­de­sar­beits­gerichts Erfolg. Die Regelung im MTV zu unter­schiedlich hohen Zuschlä­gen für regelmäßige und unregelmäßige Nachtar­beit ver­stößt nicht gegen den Gle­ich­heitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Arbeit­nehmer, die regelmäßige bzw. unregelmäßige Nachtar­beit im Tar­if­sinn leis­ten, sind zwar miteinan­der ver­gle­ich­bar. Auch wer­den sie ungle­ich behan­delt, indem für unregelmäßige Nachtar­beit ein höher­er Zuschlag gezahlt wird als für regelmäßige Nachtar­beit. Für diese Ungle­ich­be­hand­lung ist vor­liegend aber ein aus dem Tar­ifver­trag erkennbar­er sach­lich­er Grund gegeben. Der MTV bein­hal­tet zunächst einen angemesse­nen Aus­gle­ich für die gesund­heitlichen Belas­tun­gen sowohl durch regelmäßige als auch durch unregelmäßige Nachtar­beit und hat damit Vor­rang vor dem geset­zlichen Anspruch auf einen Nachtar­beit­szuschlag nach § 6 Abs. 5 ArbZG. Daneben bezweckt der MTV aber auch, Belas­tun­gen für die Beschäftigten, die unregelmäßige Nachtar­beit leis­ten, wegen der schlechteren Plan­barkeit dieser Art der Arbeit­sein­sätze auszu­gle­ichen. Den Tar­ifver­tragsparteien ist es im Rah­men der durch Art. 9 Abs. 3 GG garantierten Tar­i­fau­tonomie nicht ver­wehrt, mit einem Nachtar­beit­szuschlag neben dem Schutz der Gesund­heit weit­ere Zwecke zu ver­fol­gen. Dieser weit­ere Zweck ergibt sich aus dem Inhalt der Bes­tim­mungen des MTV. Eine Angemessen­heit­sprü­fung im Hin­blick auf die Höhe der Dif­ferenz der Zuschläge erfol­gt nicht. Es liegt im Ermessen der Tar­ifver­tragsparteien, wie sie den Aspekt der schlechteren Plan­barkeit für die Beschäftigten, die unregelmäßige Nachtar­beit leis­ten, finanziell bew­erten und ausgleichen.

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