(Stuttgart) Schwangeren Arbeitnehmerinnen, denen gekündigt wurde, muss ein wirksamer gerichtlicher Schutz der ihnen aus dem Gemeinschaftsrecht erwachsenden Rechte zur Verfügung stehen.

Darauf verweist der Düsseldorfer Fachanwalt für Arbeitsrecht Karsten Haase, Leiter des Fachausschusses „EU – Arbeitsrecht” des VdAA Verband deutscher ArbeitsrechtsAnwälte e. V. mit Sitz in Stuttgart unter Hinweis auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 29.10.2009, Az.: C-63/08.

Wenn das nationale Recht für den einzigen Rechtsbehelf, den es Arbeitnehmerinnen, denen während ihrer Schwangerschaft gekündigt wurde, zur Verfügung stellt, keine angemessenen Rechtsbehelfsfristen vorsehe, stelle dies eine ungünstigere Behandlung im Zusammenhang mit Schwangerschaft und eine Diskriminierung weiblicher Arbeitnehmer dar, so betont Haase unter Hinweis auf die Entscheidung.

Geklagt hatte eine schwangere Arbeitnehmerin, die für ein luxemburgisches Unternehmen tätig ist. Nach den Bestimmungen des luxemburgischen Arbeitsgesetzbuchs zur Umsetzung der Richtlinie 92/85/EWG ist es verboten, einer Arbeitnehmerin während ihrer ärztlich festgestellten Schwangerschaft sowie während eines Zeitraums von zwölf Wochen nach der Entbindung zu kündigen. Will eine während der Schwangerschaft gekündigte Arbeitnehmerin Klage auf Nichtigerklärung der Kündigung und Wiedereinstellung erheben, muss sie nach luxemburgischem Recht eine Klagefrist von fünfzehn Tagen einhalten, die mit dem Zeitpunkt der Auflösung des Vertrags beginnt.

Die Klägerin arbeitete seit November 2005 für das luxemburgisches Unternehmen. Am 25. Januar 2007 wurde ihr „wegen schwerwiegender Pflichtverletzung” aufgrund einer „mehr als dreitägigen ungerechtfertigten Abwesenheit” fristlos gekündigt. Am Folgetag teilte die Klägerin dem Unternehmen mit, dass sie schwanger sei und die ihr gegenüber ausgesprochene Kündigung aufgrund des rechtlichen Schutzes schwangerer Arbeitnehmerinnen nichtig sei. Da sie keine Antwort erhielt und die ihr gegenüber ausgesprochene Kündigung als missbräuchlich ansah, rief sie am 18. April 2007 das Arbeitsgericht Esch-sur-Alzette (Luxemburg) an, um die Nichtigkeit dieser Kündigung feststellen zu lassen.

Das Arbeitsgericht möchte vom Gerichtshof im Wesentlichen wissen, ob das Gemeinschaftsrecht nationalen Rechtsvorschriften entgegensteht, die zum einen die Klage einer Arbeitnehmerin, der während der Schwangerschaft gekündigt wurde, von der Einhaltung kurzer Fristen abhängig macht, die geeignet sind, der Betroffenen die Möglichkeit der gerichtlichen Durchsetzung ihrer Rechte zu nehmen, und die zum anderen der Betroffenen die allen anderen Arbeitnehmern offen stehende Möglichkeit vorenthalten, eine Schadensersatzklage gegen den Arbeitgeber zu erheben.

Der Gerichtshof erinnert daran, so Haase, dass die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um demjenigen, der sich in seinen Rechten beeinträchtigt sieht, entsprechend dem Grundsatz des gerichtlichen Schutzes der den Einzelnen aus dem Gemeinschaftsrecht erwachsenden Rechte zu ermöglichen, seine Rechte vor Gericht geltend zu machen. Dementsprechend müssen schwangere Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillende Arbeitnehmerinnen vor den Folgen einer möglicherweise rechtswidrigen Kündigung geschützt werden. Die nationalen Maßnahmen müssen geeignet sein, einen tatsächlichen und wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz sicherzustellen, eine wirklich abschreckende Wirkung gegenüber dem Arbeitgeber haben und in jedem Fall in angemessenem Verhältnis zu dem erlittenen Schaden stehen. Es obliegt dem nationalen Gericht, das allein eine unmittelbare Kenntnis der Verfahrensmodalitäten des innerstaatlichen Rechts besitzt, zu prüfen, ob diese Grundsätze beachtet wurden.  

  • Die Klagefrist von fünfzehn Tagen   

Dem Gerichtshof zufolge können die Mitgliedstaaten zwar angemessene Fristen für die Erhebung einer Klage festlegen, doch dürfen solche Fristen nicht die Ausübung der durch die Gemeinschaftsrechtsordnung verliehenen Rechte praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren. Die Verfahrensmodalitäten, die für die Klage eines gekündigten Arbeitnehmers auf Nichtigerklärung der Kündigung und Wiedereinstellung gelten, bringen möglicherweise Nachteile mit sich, die es schwangeren Arbeitnehmerinnen übermäßig erschweren können, ihre ihnen aus dem Gemeinschaftsrecht erwachsenden Rechte durchzusetzen.

Die Frist von fünfzehn Tagen ist nach Ansicht des Gerichtshofs besonders kurz, um sich sachgerecht beraten zu lassen und gegebenenfalls eine Klage auf Nichtigerklärung der Kündigung oder Wiedereinstellung einzureichen. Zudem können, bevor die schwangere Frau das Kündigungsschreiben erhält, mehrere Tage vergehen, die in die Fünfzehntagesfrist eingerechnet werden, da der Lauf dieser Frist nach der Rechtsprechung der luxemburgischen Gerichte offenbar mit der Aufgabe des Kündigungsschreibens zur Post und nicht mit dessen Zugang beginnt.

Sollte das nationale Gericht nach der ihm obliegenden Prüfung der Sach- und Rechtslage zu dem Ergebnis gelangen, dass die Ausschlussfrist von fünfzehn Tagen nicht dem Erfordernis eines wirksamen gerichtlichen Schutzes der dem Einzelnen durch das Gemeinschaftsrecht verliehenen Rechte genügt, stünde diese Frist im Widerspruch zur Richtlinie 92/85.   

  • Der Ausschluss einer Klage auf Schadensersatz   

Dem vorlegenden Gericht zufolge kann eine Arbeitnehmerin, der während der Schwangerschaft gekündigt wurde, nur auf Nichtigerklärung der Kündigung und Wiedereinstellung klagen; andere Klagen im Rahmen des Arbeitsrechts, wie eine Klage auf Schadensersatz, seien ausgeschlossen.

Sollte sich daher nach Prüfung durch das vorlegende Gericht herausstellen, dass die Verfahrensmodalitäten im Zusammenhang mit der einzigen Klagemöglichkeit bei Kündigung einer schwangeren Arbeitnehmerin nicht dem Grundsatz des effektiven gerichtlichen Schutzes der den Einzelnen durch das Gemeinschaftsrecht verliehenen Rechte genügen, wäre eine solche Einschränkung der Klagemöglichkeiten infolgedessen eine ungünstigere Behandlung einer Frau im Zusammenhang mit Schwangerschaft und somit eine Diskriminierung im Sinne der Richtlinie 76/207/EWG.

Falls das vorlegende Gericht einen solchen Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung im Sinne der Richtlinie 76/207/EWG feststellen sollte, muss es die innerstaatlichen Zuständigkeitsregeln so weit wie möglich dahin auslegen, dass sie zur Erreichung des Ziels beitragen, einen effektiven gerichtlichen Schutz der Rechte zu gewährleisten, die schwangeren Frauen aus dem Gemeinschaftsrecht erwachsen.

Für Deutschland, so betont Haase, habe die Entscheidung – soweit zurzeit ersichtlich – keine größere Bedeutung. Denn hier fängt die Frist zur Erhebung einer Kündigungsschutzklage (3 Wochen) nach § 4 Satz 1 KSchG erst ab Zustellung der Kündigung an zu laufen. Bedarf die Kündigung der Zustimmung einer Behörde, so läuft diese Frist nach § 4 Satz 4 KSchG erst ab Bekanntgabe dieser Entscheidung gegenüber dem Arbeitnehmer.

Haase empfahl, das Urteil zu beachten und bei aufkommenden Fragen dazu Rechtsrat in Anspruch zu nehmen, wobei er u. a. auch auf den VdAA Verband deutscher ArbeitsrechtsAnwälte e. V. – www.vdaa.de – verwies.

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Karsten Haase
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