(Stuttgart) Nach einem Urteil des Europäis­chen Gericht­shofs für Men­schen­rechte (EGMR) ist die Mei­n­ungs­frei­heit grund­sät­zlich auch im Arbeitsver­hält­nis geschützt.

Darauf ver­weist die Berlin­er Fachan­wältin für Arbeit­srecht Sabine Fein­dura aus der Kan­zlei BUSE HEBERER FROMM, Mit­glied im VDAA — Ver­band deutsch­er Arbeit­srecht­sAn­wälte e. V. mit Sitz in Stuttgart, unter Hin­weis auf das entsprechende Urteil des EGMR vom 21.07.2011 – 28274/08. 

Eine Berlin­er Altenpflegerin hat­te ihren Arbeit­ge­ber mehrfach auf die zu geringe Per­son­alausstat­tung und die daraus resul­tieren­den gravieren­den Pflegemän­gel in dem Altenheim, in dem sie beschäftigt war, hingewiesen. Der Arbeit­ge­ber wies die Vor­würfe und die Bit­ten, mehr Per­son­al einzustellen, stets zurück. Daraufhin erstat­tete die Arbeit­nehmerin Strafanzeige wegen Betruges gegen ihren Arbeitgeber. 

Als dieser hier­von Ken­nt­nis erlangte, kündigte er das Arbeitsver­hält­nis mit der Arbeit­nehmerin frist­los. Während das Lan­desar­beits­gericht Berlin-Bran­den­burg die Kündi­gung für wirk­sam erachtete, so Fein­dura, entsch­ied nun der Europäis­che Gericht­shof für Men­schen­rechte (EGMR), dass die Kündi­gung als Reak­tion auf das Ver­hal­ten der Arbeit­nehmerin einen unver­hält­nis­mäßi­gen Ein­griff in ihr Recht auf freie Mei­n­ungsäußerung nach Art. 10 EMRK darstellt. 

Arbeit­nehmer sind ihren Arbeit­ge­bern gegenüber zur Loy­al­ität, Zurück­hal­tung und Ver­traulichkeit verpflichtet. Dies beschränkt ihr Recht auf freie Mei­n­ungsäußerung. In beson­deren Sit­u­a­tio­nen sind sie aber berechtigt, sich an Behör­den zu wen­den, um Missstände anzuprangern. 

Eine deshalb aus­ge­sproch­ene Kündi­gung ist jeden­falls dann unzuläs­sig, wenn 

  • ein öffentlich­es Inter­esse an den Missstän­den vorliegt,
  • die Infor­ma­tion fundiert ist,
  • das Inter­esse mögliche Schä­den des Arbeit­ge­bers überwiegt,
  • der Arbeit­nehmer nicht aus niederen Beweg­grün­den han­delte (Rache, Neid

etc.) und

  • die Fol­gen ein­er Kündi­gung für den Arbeit­nehmer unver­hält­nis­mäßig wären (z. B. wegen Leben­salter oder Behinderung).

Der Arbeit­nehmer muss in jedem Fall zunächst ver­suchen, inner­be­trieblich eine Besei­t­i­gung der Missstände – z. B. durch Mit­teilung an den Vorge­set­zten und/oder die Geschäfts­führung – zu erre­ichen. Erst wenn dies nicht zum Erfolg führt oder offen­sichtlich zweck­los wäre, darf sich ein Arbeit­nehmer an externe Stellen wenden.

  • Empfehlung für die Praxis:

Die Entschei­dung des EGMR macht deut­lich, wie wichtig ein inner­be­trieblich­es Hin­weis­ge­ber­sys­tem (Whistle­blow­ing- Sys­tem) ist. Jed­er Arbeit­ge­ber sollte seinen Mitar­beit­ern die Möglichkeit eröff­nen, sich zunächst an inner­be­triebliche Stellen oder vom Arbeit­ge­ber beauf­tragte außer­be­triebliche Stellen zu wen­den, um eine interne Klärung der Vor­würfe vorzunehmen. Solche Hin­weise soll­ten ernst genom­men wer­den; ihnen sollte unter Ein­bindung des Arbeit­nehmers sorgfältig nachge­gan­gen wer­den. So kann das Risiko ver­ringert wer­den, dass Missstände an die Öffentlichkeit gelangen. 

Fachan­wältin Fein­dura emp­fahl, die Entschei­dung und die Empfehlun­gen zu beacht­en und in Zweifels­fällen rechtlichen Rat einzu­holen, wobei sie u. a. dazu auch auf den VDAA Ver­band deutsch­er Arbeit­srecht­sAn­wälte e. V. – www.vdaa.de – verwies.

 

Für Rück­fra­gen ste­ht Ihnen zur Verfügung: 

Sabine Fein­dura
Recht­san­wältin
Fachan­wältin für Arbeitsrecht

Kur­fürs­ten­damm 237
10719 Berlin

Tele­fon: +49-(0)30–32794211
Tele­fax: +49-(0)30–32794222
Mobil: +49-(0)171–5860793

feindura@buse.de
www.buse.de