(Stuttgart) Einem langjährig beschäfti­gen Arbeit­nehmer, der mit der Betreu­ung und Beauf­sich­ti­gung von Inter­nats­gästen betraut ist, kann im Einzelfall nicht wirk­sam frist­los gekündigt wer­den, wenn er zwar ein­er Inter­nats­be­wohner­in Hil­festel­lung hätte leis­ten müssen, jedoch guten Glaubens einen Sachver­halt unter­schätzt und deshalb nichts bzw. zu wenig unter­nom­men hat.

Dies, so der Kiel­er Fachan­walt für Arbeit­srecht Jens Klar­mann, Vizepräsi­dent des VdAA  — Ver­band deutsch­er Arbeit­srecht­sAn­wälte e. V. mit Sitz in Stuttgart, hat das Lan­desar­beits­gericht Schleswig-Hol­stein mit am 27.08.2010 veröf­fentlichtem Urteil vom 16.06.2010 entsch­ieden (3 Sa 144/10).

Der nicht päd­a­gogisch aus­ge­bildete Kläger war seit 1981 in dem von der Beklagten betriebe­nen Bil­dungszen­trum mit angeschlossen­em Inter­nat beschäftigt und mit der Beauf­sich­ti­gung und Betreu­ung der Inter­nats­gäste betraut. Wegen sein­er lan­gen Betrieb­szuge­hörigkeit war er ordentlich unkünd­bar. Er hat stets unbean­standet gear­beit­et. Im Okto­ber 2009 hat­te er zusam­men mit ein­er weib­lichen Kol­le­gin Nacht­di­enst. In dieser Nacht kam es zu einem sex­uellen Über­griff auf eine damals knapp 17jährige Inter­nats­be­wohner­in durch einen betrunk­e­nen Schüler ein­er benach­barten Schule. Der Schü­lerin gelang es, in ihr Zim­mer zu flücht­en und den sie ver­fol­gen­den jun­gen Mann mit Hil­fe ihrer Zim­mer­mit­be­wohner­in­nen auszus­per­ren. Auf den ersten Notruf, dessen Inhalt unklar geblieben ist, erschien der Kläger nicht. Nach einem weit­eren suchte er das Zim­mer auf, emp­fahl let­z­tendlich jedoch nur, sich schlafen zu leg­en, das Zim­mer von innen zu ver­riegeln und am näch­sten Mor­gen alles Weit­ere zu klären. Dann ließ er die drei Bewohner­in­nen allein. Für sich klärte er noch die Iden­tität des Schülers. Weit­eres ver­an­lasste er in dieser Nacht nicht. Wie weit der sex­uelle Über­griff ging, war nicht Gegen­stand des arbeits­gerichtlichen Ver­fahrens. Die Arbeit­ge­berin kündigte das Arbeitsver­hält­nis fristlos.

Das Arbeits­gericht gab der Kündi­gungss­chutzk­lage statt. Die Beru­fung der Arbeit­ge­berin hat­te keinen Erfolg, so Klarmann.

Der Kläger habe zwar durch sein zöger­lich­es Han­deln ver­schiedene Ver­tragspflicht­en ver­let­zt. Die sofor­tige Auflö­sung des Arbeitsver­hält­niss­es sei den­noch keine angemessene Reak­tion. Bei der Inter­essen­ab­wä­gung seien das Leben­salter (55 Jahre) und auch die lange, unbean­standete Betrieb­szuge­hörigkeit, durch die der Kläger ein hohes Maß von Ver­trauen aufge­baut habe, von Bedeu­tung. Es müsse aber auch berück­sichtigt wer­den, dass der Kläger die Schwere des Vor­falls nicht richtig erkan­nt und den Sachver­halt unter­schätzt habe. Die Kette der Pflichtver­let­zun­gen sei als ein­heitlich­es Geschehen auch ein­heitlich zu gewicht­en. Eine Abmah­nung sei in diesem Fall als milderes Mit­tel aus­re­ichend gewesen.

Klar­mann emp­fahl, das Urteil zu beacht­en sowie in Zweifels­fällen um Recht­srat nachzusuchen, wobei er u. a. dazu auch auf den VdAA Ver­band deutsch­er Arbeit­srecht­sAn­wälte e. V. – www.vdaa.de – verwies. 

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