Bun­de­sar­beits­gericht stärkt Rechte von Arbeit­ge­bern bei Krankheit

(Stuttgart) Das deutsche Arbeit­srecht misst ärztlichen Arbeit­sun­fähigkeits-bescheini­gun­gen einen hohen Beweiswert zu. Legt ein Arbeit­nehmer einen solchen „gel­ben Schein“ beim Arbeit­ge­ber vor, so gilt seine Erkrankung regelmäßig als bewiesen und der Arbeit­nehmer kann grund­sät­zlich Ent­gelt­fortzahlung von seinem Arbeit­ge­ber beanspruchen. Mit ein­er aktuellen Entschei­dung begren­zt das Bun­de­sar­beits­gericht nun­mehr diesen Beweiswert in bes­timmten Konstellationen.

Die rechtliche Lage für Unternehmen und Beschäftigte stellt der Ham­burg­er Fachan­walt für Arbeit­srecht Prof. Dr. Michael Fuhlrott dar.

Ent­gelt­fortzahlung und Arbeitsunfähigkeit

Ist ein Arbeit­nehmer infolge Krankheit an sein­er Arbeit­sleis­tung ver­hin­dert, so hat er Anspruch auf Ent­gelt­fortzahlung im Krankheits­fall durch den Arbeit­ge­ber, § 3 Abs. 1 Ent­gelt­fortzahlungs-gesetz (EFZG). Voraus­set­zung ist weit­er­hin, dass die Krankheit ohne Ver­schulden einge­treten ist und das Arbeitsver­hält­nis bere­its min­destens vier Wochen beste­ht. „Den Arbeit­nehmer tre­f­fen bei ein­er Krankheit zwei Pflicht­en: Er muss sich zum einen unverzüglich arbeit­sun­fähig melden, zum anderen muss er spätestens nach dem drit­ten Krankheit­stag eine ärztliche Bescheini­gung vor­legen. Nach dem Gesetz dür­fen Arbeit­ge­ber zudem auch schon eher die Vor­lage ein­er ärztlichen Arbeit­sun­fähigkeits­bescheini­gung ver­lan­gen: „Dafür bedarf es auch kein­er beson­deren Gründe“, so der Ham­burg­er Arbeitsrechtler.

Ver­stöße gegen diese soge­nan­nte Anzeige- und Nach­weispflicht­en stellen eine arbeit­srechtliche Pflichtver­let­zung dar. Der Arbeit­ge­ber kann diese mit den üblichen Mit­teln des Arbeit­srechts sank­tion­ieren: „Je nach Einzelfall kom­men dann Abmah­nung bis hin zur Kündi­gung in Betra­cht“, so Fuhlrott.

Beweiswert der ärztlichen Bescheinigung

„Eine vor­getäuschte Arbeit­sun­fähigkeit kann den Arbeit­ge­ber sog­ar zu ein­er frist­losen Kündi­gung berechti­gen“, erläutert der Arbeit­srechtler. Allerd­ings: Meint der Arbeit­ge­ber, dass der Arbeit­nehmer die Arbeit­sun­fähigkeit nur vortäusche und tat­säch­lich arbeits­fähig sei, muss er dies beweisen. „Legt der Arbeit­nehmer für seine Erkrankung ein ärztlich­es Attest vor, haben Arbeit­ge­ber regelmäßig wenig Chan­cen, einen solchen Beweis führen zu kön­nen“, so Fuhlrott.

Nach der Recht­sprechung genießen ärztliche Atteste einen enorm hohen Beweiswert. Wolle der Arbeit­ge­ber gle­ich­wohl gel­tend machen, dass der Arbeit­nehmer tat­säch­lich arbeits­fähig gewe­sen sei, müsse dieser konkret dar­legen, warum der Beweiswert der Arbeit­sun­fähigkeits-bescheini­gung erschüt­tert sei. Und: „Krank­sein heißt auch nicht, dass ich als Arbeit­nehmer zu Hause im Bett liegen muss“, verdeut­licht Fuhlrott. Wichtig sei nur, dass sich der Arbeit­nehmer nicht gene­sungswidrig ver­halte. Welche Tätigkeit­en damit erlaubt seien, hänge von der Erkrankung ab. Daher dürfe ein Arbeit­nehmer etwa auch Sport treiben und Joggen gehen, wenn die Erkrankung auf­grund ein­er psy­chis­chen Belas­tung einge­treten und sich die kör­per­liche Betä­ti­gung als gene­sungs­förder­lich erweise.

Erschüt­terung des Attests nur im Ausnahmefall

„Hat der Arbeit­nehmer zuvor etwa mit­geteilt, dass er an Rück­en­schmerzen lei­det und wird er dann zuhause gese­hen, wie er im eige­nen Garten Schw­er­star­beit leiste und Beton­plat­ten schleppt, wird eine solche Erschüt­terung des ärztlichen Attests gegeben sein“, erläutert Arbeit­srechtler Fuhlrott. „Gle­ich­es gilt regelmäßig auch dann, wenn der Arbeit­nehmer Tätigkeit­en ausübt, die mit sein­er beru­flichen Tätigkeit ver­gle­ich­bar sind. Meldet sich die Verkäuferin im Einzel­han­del krank und wird dann arbei­t­end auf dem Wochen­markt gese­hen, wird man den Beweiswert eben­falls als erschüt­tert anse­hen dür­fen“, so Fuhlrott weiter.

Aktuelles Urteil des Bun­de­sar­beits­gerichts: Erschüt­terung bei Eigenkündigung

Mit einem aktuellen Urteil (v. 8.9.2021, 5 AZR 149/21 = PM Nr. 25/21) hat das Bun­de­sar­beits­gericht (BAG) nun­mehr die Rechte von Arbeit­ge­bern in diesem Zusam­men­hang gestärkt. Die Erschüt­terung des Beweiswerts ein­er Arbeit­sun­fähigkeits­bescheini­gung sei auch dann anzunehmen, wenn ein Arbeit­nehmer sein Arbeitsver­hält­nis selb­st kündi­ge und er am gle­ichen Tag arbeit­sun­fähig geschrieben werde. Ins­beson­dere gelte dies dann, wenn die bescheinigte Arbeit­sun­fähigkeit pass­ge­nau die Dauer der Kündi­gungs­frist umfasse.

Mit dieser Begrün­dung ver­sagte das BAG ein­er Arbeit­nehmerin Lohn­fortzahlung im Krankheits­fall. Die kla­gende Arbeit­nehmerin hat­te am 8.2.2019 ihr Arbeitsver­hält­nis zum 22.2.2019 gekündigt. Zeit­gle­ich legte sie ihrem Arbeit­ge­ber eine Arbeit­sun­fähigkeits-bescheini­gung vor. Diesen zeitlichen Zusam­men­hang ließ das BAG aus­re­ichen, um den Beweiswert des „gel­ben Scheins“ als erschüt­tert anzuse­hen. Die Beschäftigte hätte näher dar­legen müssen, warum sie tat­säch­lich erkrankt war und die berechtigten Zweifel des Arbeit­ge­bers am Attest aus­räu­men müssen. Dies gelang der ehe­ma­li­gen Mitar­bei­t­erin nicht, so dass sie keine Lohn­fortzahlung vom Arbeit­ge­ber ver­lan­gen konnte.

„Wenn der Arbeit­nehmer selb­st kündigt und sich in diesem Zusam­men­hang bis zum Ende sein­er Kündi­gungs­frist krankmeldet, set­zt er sich der erhe­blichen Gefahr aus, dass der Arbeit­ge­ber die Lohn­zahlung ein­stellt“, so Fuhlrott. Auf Fälle der Kündi­gung durch den Arbeit­ge­ber seien diese Grund­sätze nach Mei­n­ung des Arbeit­srechtlers nur beschränkt über­trag­bar: „Hier mag es dur­chaus sein, dass der Arbeit­nehmer infolge der für ihn uner­warteten Kündi­gung erkrankt und keine Erschüt­terung ein­tritt“. Let­ztlich sei dies aber von Fall zu Fall beurteilen: „Eine Krankschrei­bung nach Arbeit­ge­berkündi­gung pass­ge­nau bis zum let­zten Arbeit­stag wer­den sich Arbeits­gerichte kün­ftig auch genauer anse­hen müssen“, meint der Ham­burg­er Fachan­walt für Arbeitsrecht.

Fuhlrott emp­fiehlt Arbeit­ge­bern und Arbeit­nehmern bei Fra­gen zum Kom­plex der Krankmel­dung und des Beweiswerts ärztlich­er Atteste Recht­srat einzu­holen, wobei er u. a. dazu auch auf den VDAA Ver­band deutsch­er Arbeit­srecht­sAn­wälte e. V. – www.vdaa.de – verweist.

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Prof. Dr. Michael Fuhlrott
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