Bun­de­sar­beits­gericht legt umstrit­tene Rechts­frage dem Europäis­chen Gericht­shof vor 

(Stuttgart) Erkrankt ein Arbeit­nehmer während des Urlaubs, wird ihm der „ver­lorene“ Urlaub gut­geschrieben. Ob dies auch dann gilt, wenn der Arbeit­nehmer während sein­er geplanten Urlaub­szeit zwar nicht erkrankt ist, aber in Quar­an­täne muss, sollte heute das Bun­de­sar­beits­gericht entschei­den. Dieses set­zte aber das Ver­fahren aus und rief den Europäis­chen Gericht­shof zur Klärung an. Dieser muss nun entschei­den, ob das Europäis­che Recht die Nachgewährung infolge ein­er Quar­an­täne „ver­lore­nen“ Urlaubs verlangt.

Die Recht­slage stellt der Ham­burg­er Fachan­walt für Arbeit­srecht Prof. Dr. Michael Fuhlrott dar. 

Quar­an­täne statt Urlaubsreise

Anlass der Befas­sung der höch­sten deutschen Arbeit­srichter war die Klage eines Schlossers. Dieser hat­te bei seinem Arbeit­ge­ber Urlaub für die Zeit vom 12.10.2020 bis 21.10.2020 beantragt und auch genehmigt erhal­ten. Am 14.10.2020 ord­nete die zuständi­ge Gemeinde die häus­liche Abson­derung für die Zeit vom 09.10.2020 bis zum 21.10.2020 an, da der Schloss­er unmit­tel­baren Kon­takt mit einem Coro­na-Infizierten hat­te. Das Gesund­heit­samt ver­bot ihm, die Woh­nung zu verlassen.

Dies teilte der Schloss­er seinem Arbeit­ge­ber mit und ver­langte die Gutschrei­bung der Urlaub­tage. Der Arbeit­ge­ber lehnte dies aber ab. Dage­gen klagte der Arbeit­nehmer. Während er vor dem Arbeits­gericht Hagen erfol­g­los war (Urt. v. 28.07.2021, Az.: 2 Ca 2784/20), gab ihm das Lan­desar­beits­gericht Hamm (Urt. v. 27.01.2022, Az.: 5 Sa 1030/21) Recht. Damit war nun der Arbeit­ge­ber nicht ein­ver­standen und legte Revi­sion zum Bun­de­sar­beits­gericht (BAG) ein, das den Fall am 16.08.2022 verhandelte.

Geset­zlich geregelt: Urlaub und Krankheit 

Geset­zlich geregelt ist im deutschen Arbeit­srecht der Fall, wenn der Arbeit­nehmer während seines Urlaubs erkrankt. Dann greift die Vorschrift des § 9 Bun­desurlaub­s­ge­set­zes (BUrlG), wonach dem Arbeit­nehmer „die durch ärztlich­es Zeug­nis nachgewiese­nen Tage der Arbeit­sun­fähigkeit auf den Jahresurlaub nicht angerech­net“ werden.

„Erkranke ich während meines Urlaubs, kann ich mir durch Vor­lage ein­er Arbeit­sun­fähigkeits­bescheini­gung die „ver­lore­nen“ Urlaub­stage gutschreiben lassen“, so Arbeit­srechtler Prof. Dr. Michael Fuhlrott. „Wichtig ist aber, den Arbeit­ge­ber unverzüglich über meine Erkrankung zu informieren und ein ärztlich­es Attest einzu­holen“, so der Ham­burg­er Fachanwalt.

Keine geset­zliche Regelung bei Quarantäne

Für den Fall, dass der Arbeit­nehmer in Quar­an­täne muss, fehlt es hinge­gen an ein­er geset­zlichen Regelung. Denn die Vorschrift aus dem Bun­desurlaub­s­ge­setz ist man­gels Arbeit­sun­fähigkeit nicht direkt anwend­bar. Daher war bis­lang ungek­lärt, ob auch in einem solchen Fall eine Nachgewähr von Urlaub erfol­gt oder ob der Arbeit­nehmer das Nach­se­hen hat.

Ver­schiedene Arbeits­gerichte hat­ten sich dazu in der Ver­gan­gen­heit auf Seit­en des Arbeit­ge­bers gestellt. Denn die Son­der­vorschrift aus dem Bun­desurlaub­s­ge­setz habe Aus­nah­mecharak­ter und sei daher eng anzuwen­den. Die Frage war aber höch­strichter­liche bis­lang ungek­lärt, andere Gerichte hat­ten einen Ver­gle­ich zwis­chen Quar­an­täne und Erkrankung gezo­gen und die Nachgewähr von Urlaub bejaht. 

Bun­de­sar­beits­gericht: Vor­lage an den Europäis­chen Gerichtshof

Mit sein­er Entschei­dung vom 16.08.2022 (Az.: 9 AZR 76/22, PM Nr. 30/22) ließ das das Bun­de­sar­beits­gericht die Stre­it­frage vor­erst offen. Es rief den Europäis­chen Gericht­shof (EuGH) im Wege der Vor­abentschei­dung zur Klärung an. Dieser solle nun­mehr entschei­den, ob die europäis­che Arbeit­szeitrichtlin­ie ein­er deutschen Regelung ent­ge­gen­ste­he, wonach „Jahresurlaub, der sich mit ein­er nach Urlaub­s­be­wil­li­gung durch die zuständi­ge Behörde wegen Ansteck­ungsver­dachts ange­ord­neten häus­lichen Quar­an­täne zeitlich über­schnei­det, nicht nachzugewähren ist.“

Arbeit­srechtler Michael Fuhlrott erläutert: „Ob eine nationale Regelung mit dem europäis­chen Recht vere­in­bar ist, kann verbindlich nur der Europäis­che Gericht­shof entschei­den. Dieser hat in der Ver­gan­gen­heit schon mehrfach betont, dass das Recht auf bezahlten Jahresurlaub ein beson­ders bedeut­sames Recht ist, das nicht eingeschränkt wer­den darf.“

Allein nach dem deutschen Recht betra­chtet hält Fuhlrott eine Nachgewähr von Urlaub für aus­geschlossen: „Selb­st in Kon­stel­la­tio­nen, in denen ein Arbeit­nehmer während seines Urlaubs in Haft war, find­et keine Nachgewähr von Urlaub statt. Hier ist der tat­säch­liche Erhol­ungswert des Urlaubs eben­falls mas­siv beein­trächtigt. Der Arbeit­ge­ber schuldet nur die bezahlte Freis­tel­lung von der Arbeit. Er übern­immt keine Haf­tung für das Gelin­gen des Urlaubs und tat­säch­liche Urlaub­s­freuden“, so der Arbeitsrechtler.

Wann entschei­det der Europäis­che Gerichtshof?

Ob dies aber weit­er­hin gilt, wer­den nun­mehr die Lux­em­burg­er Richter zu entschei­den haben.

Mit ein­er Entschei­dung des EuGH dürfte erst im kom­menden Jahr zu rech­nen sein. „Der Europäis­che Gericht­shof hat in der Ver­gan­gen­heit mehrfach betont urlaub­s­fre­undlich entsch­ieden“, meint Fuhlrott. Es sei damit gut möglich, dass das Risiko ein­er Quar­an­täne bei Urlaub­s­fra­gen kün­ftig der Arbeit­ge­ber zu tra­gen habe.

Damit bleibt die Rechts­frage in Deutsch­land vor­erst ungek­lärt und dürfte bis zu ein­er verbindlichen Entschei­dung des Europäis­chen Gericht­shof zu weit­eren Ver­fahren zwis­chen Arbeit­nehmern und Arbeit­ge­bern führen, glaubt der Ham­burg­er Arbeit­srechtler. 

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