(Stuttgart) Das Bun­desver­fas­sungs­gericht hat eine Ver­fas­sungs­beschw­erde ein­er Fernseh-Repor­terin wegen Lohndiskri­m­inierung gegen Entschei­dun­gen der Arbeits­gerichte nicht zur Entschei­dung angenom­men, da sie den geset­zlichen Dar­legungsan­forderun­gen nicht genügt.

Im Aus­gangsver­fahren ver­fol­gte die beschw­erde­führende Repor­terin unter anderem das Ziel, so vergütet zu wer­den, wie ihre männlichen Kol­le­gen mit gle­ich­er oder gle­ich­w­er­tiger Tätigkeit. 

Darauf ver­weist der Stuttgarter Fachan­walt für Arbeit­srecht Michael Henn, Präsi­dent des VDAA — Ver­band deutsch­er Arbeit­srecht­sAn­wälte e. V. mit Sitz in Stuttgart, unter Hin­weis auf die Mit­teilung des Bun­desver­fas­sungs­gerichts (BVer­fG) vom 19.07.2022 zu seinem Beschluss vom 01. Juni 2022 — Az. 1 BvR 75/20.

  • Sachver­halt:

Die Beschw­erde­führerin war als Repor­terin bei einem inves­tiga­tiv­en Polit­magazin des Zweit­en Deutschen Fernse­hens tätig. Sie erhob vor den Arbeits­gericht­en auf der ersten Stufe Klage auf Auskun­ft über den Ver­di­enst männlich­er Kol­le­gen mit ver­gle­ich­bar­er Tätigkeit und auf der zweit­en Stufe auf die gle­iche Vergü­tung. Das Arbeits­gericht wies die Klage ab.

Danach trat das Gesetz zur Förderung der Ent­gelt­trans­parenz zwis­chen Frauen und Män­nern (Ent­gelt­trans­paren­zge­setz — Ent­g­TranspG) in Kraft. Im Beru­fungsver­fahren vor dem Lan­desar­beits­gericht stützte die Beschw­erde­führerin ihren Auskun­ft­sanspruch hil­f­sweise auch auf dieses Gesetz, blieb aber erfol­g­los. Die Beschw­erde­führerin habe keinen ersten Anschein für eine Benachteili­gung dargelegt. Dazu genüge es nicht, darzule­gen und zu beweisen, dass ihr Arbeit­ge­ber ihr ein niedrigeres Gehalt zahle als einem männlichen Kol­le­gen und dass sie die gle­iche oder eine gle­ich­w­er­tige Arbeit ver­richte. Ein Auskun­ft­sanspruch folge auch nicht aus dem neuen § 10 Ent­g­TranspG, weil die Beschw­erde­führerin als arbeit­nehmerähn­liche Per­son nicht in den Anwen­dungs­bere­ich des Geset­zes falle. Nur zu dieser Rechts­frage ließ es die Revi­sion zu.

Auf die Revi­sion der Beschw­erde­führerin verurteilte das Bun­de­sar­beits­gericht das ZDF teil­weise zur Erteilung der Auskunft.

Es ver­wies den Rechtsstre­it im Übri­gen an das Lan­desar­beits­gericht zurück, weil das Ent­gelt­trans­paren­zge­setz auf die Beschw­erde­führerin anwend­bar sei. Die Nichtzu­las­sungs­beschw­erde ver­warf das Bun­de­sar­beits­gericht als unzuläs­sig und wies die dage­gen gerichtete Anhörungsrüge als unbe­grün­det zurück.

Mit der Ver­fas­sungs­beschw­erde rügt die Beschw­erde­führerin die Ver­let­zung ihrer Rechte aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 des Grundge­set­zes (GG), weil das Bun­de­sar­beits­gericht die Sache nicht nach Art. 267 Abs. 3 des Ver­trags über die Arbeitsweise der Europäis­chen Union (AEUV) dem Gericht­shof der Europäis­chen Union vorgelegt hat. Zudem seien die arbeits­gerichtlichen Entschei­dun­gen nicht mit dem Grun­drecht der Gle­ich­heit von Frauen und Män­nern aus Art. 23 Abs. 1 der Char­ta der Europäis­chen Union (GRCh) zu vere­in­baren. Darüber hin­aus sei sie in ihrem Recht auf Gle­ich­berech­ti­gung aus Art. 3 Abs. 2 und 3 Satz 1 GG verletzt.

  • Wesentliche Erwä­gun­gen der Kammer:

Die Ver­fas­sungs­beschw­erde hat keine hin­re­ichende Aus­sicht auf Erfolg, da sie unzuläs­sig ist.

  1. Die Ver­fas­sungs­beschw­erde genügt im Hin­blick auf den Grund­satz der Sub­sidiar­ität (§ 90 Abs. 2 Satz 1 Bun­desver­fas­sungs­gerichts­ge­setz — BVer­fGG) nicht den geset­zlichen Dar­legungsan­forderun­gen. Auf der Grund­lage des Beschw­erde­vor­brin­gens lässt sich nicht zuver­läs­sig über­prüfen, ob die Beschw­erde­führerin alle im Rah­men des fachgerichtlichen Ver­fahrens eröffneten Möglichkeit­en genutzt hat, um der Rechtsver­let­zung abzuhelfen. Eine solche Möglichkeit beste­ht bere­its dann, wenn es möglich erscheint, dass die Grun­drechtsver­let­zung vor den Fachgericht­en beseit­igt wird.

    Hier hat­te die Revi­sion der Beschw­erde­führerin zur Auskun­ft über das Ver­gle­ich­sent­gelt Erfolg. Erhält sie diese, kön­nte sie einen Zahlungsanspruch gel­tend machen, der jeden­falls nicht von vorn­here­in offen­sichtlich aus­sicht­s­los wäre. Das Bun­de­sar­beits­gericht hat klargestellt, dass ein die eigene Vergü­tung über­steigen­des mit­geteiltes Ver­gle­ich­sent­gelt (Medi­a­nent­gelt) die Ver­mu­tung begründe, es liege eine Ent­gelt­be­nachteili­gung wegen des Geschlechts vor. Das führt zu der Beweis­las­tumkehr, deren Fehlen vor dem Lan­desar­beits­gericht die Beschw­erde­führerin rügt. Es ist hier nicht erkennbar, dass dem andere Gründe ent­ge­gen­stün­den oder der Medi­an im Fall der Beschw­erde­führerin nach ihren Vorstel­lun­gen vom durch­schnit­tlichen Gehalt der Ver­gle­ichsper­so­n­en abwe­ichen würde.

  2. Die Rüge lässt keine Ver­let­zung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG durch die fehlende Vor­lage an den Gericht­shof der Europäis­chen Union erken­nen, denn das Bun­de­sar­beits­gericht hat keine Sachentschei­dung getrof­fen. Es erschließt sich nicht, inwieweit die Vor­lagepflicht ger­ade dadurch ver­let­zt wor­den sein soll, dass die Revi­sion als unzuläs­sig ver­wor­fen wurde.
  3. Die Rügen ein­er Ver­let­zung von Art. 3 Abs. 2 und 3 Satz 1 GG hat die Beschw­erde­führerin nicht inner­halb der Monats­frist des § 93 Abs. 1 BVer­fGG hin­re­ichend substantiiert.
  4. Zur Rüge ein­er Ver­let­zung von Art. 23 Abs. 1 GRCh wird nicht hin­re­ichend sub­stan­ti­iert aufgezeigt, dass die Voraus­set­zun­gen für eine Über­prü­fung der ange­grif­f­e­nen Entschei­dun­gen anhand der Union­s­grun­drechte vor­la­gen.

    a) Bei der Anwen­dung union­srechtlich voll­ständig vere­in­heitlichter Regelun­gen sind grund­sät­zlich nicht die deutschen Grun­drechte, son­dern allein die Union­s­grun­drechte maßge­blich. Die Anwen­dung inner­staatlichen Rechts prüft das Bun­desver­fas­sungs­gericht dage­gen primär am Maßstab der Grun­drechte des Grundge­set­zes, auch wenn es der Durch­führung des Union­srechts dient (vgl. Art. 51 Abs. 1 Satz 1 GRCh). Dort, wo es den Mit­glied­staat­en Gestal­tungsspiel­räume ein­räumt, zielt Union­srecht regelmäßig nicht auf eine Ein­heitlichkeit des Grun­drechtss­chutzes, son­dern lässt Grun­drechtsvielfalt zu. Daher greift dann die Ver­mu­tung, dass das Schutzniveau der Char­ta der Grun­drechte der Europäis­chen Union durch die Anwen­dung der Grun­drechte des Grundge­set­zes mit­gewährleis­tet ist. Eine Aus­nahme von dieser Ver­mu­tung ist nur in Betra­cht zu ziehen, wenn hier­für konkrete und hin­re­ichende Anhalt­spunk­te vorliegen.

    b) Solche Anhalt­spunk­te sind hier nicht erkennbar. Insofern wäre darzule­gen, ob in der Ausle­gung der jew­eili­gen Grun­drechte der Char­ta und des Grundge­set­zes ein ungle­ich­es Schutzniveau erre­icht wird. Dabei wäre darauf einzuge­hen, inwieweit Art. 3 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 1 GG, die einen wirk­samen Schutz vor Benachteili­gun­gen wegen des Geschlechts erforder­lich machen, sich auch auf die Beweis­last in Ver­fahren zur Lohn­gle­ich­heit auswirken. Zu Art. 3 Abs. 2 und 3 GG wird mit Blick auf die Lohn­gle­ich­heit aber erst über zwölf Monate nach Zustel­lung der Anhörungsrügeentschei­dung und damit ver­fris­tet vorgetragen.

Henn emp­fahl, die Entschei­dung zu beacht­en und in Zweifels­fällen rechtlichen Rat einzu­holen, wobei er u. a. dazu auch auf den VDAA Ver­band deutsch­er Arbeit­srecht­sAn­wälte e. V. – www.vdaa.de – ver­wies.

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Michael Henn
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