Bun­de­sar­beits­gericht, Beschluss vom 27.02.2023, AZ 8 AZR 450/21

Aus­gabe: 02–2023

Eine Frau hat Anspruch auf gle­ich­es Ent­gelt für gle­iche oder gle­ich­w­er­tige Arbeit, wenn der Arbeit­ge­ber männlichen Kol­le­gen auf­grund des Geschlechts ein höheres Ent­gelt zahlt. Daran ändert nichts, wenn der männliche Kol­lege ein höheres Ent­gelt fordert und der Arbeit­ge­ber dieser Forderung nachgibt.

Die Klägerin ist seit dem 1. März 2017 bei der Beklagten als Außen­di­en­st­mi­tar­bei­t­erin im Ver­trieb beschäftigt. Ihr einzelver­traglich vere­in­bartes Grun­dent­gelt betrug anfangs 3.500,00 Euro brut­to. Ab dem 1. August 2018 richtete sich ihre Vergü­tung nach einem Haus­tar­ifver­trag, der ua. die Ein­führung eines neuen Ein­grup­pierungssys­tems regelte. Die für die Tätigkeit der Klägerin maßge­bliche Ent­gelt­gruppe des Haus­tar­ifver­trags sah ein Grun­dent­gelt iHv. 4.140,00 Euro brut­to vor. In § 18 Abs. 4 des Haus­tar­ifver­trags heißt es: “Für den Fall, dass das neue tar­i­fliche Grun­dent­gelt das bish­erige tar­i­fliche Ent­gelt (…) über­schre­it­et, erfol­gt die Anpas­sung um nicht mehr als 120,00 €/brutto in den Jahren 2018 bis 2020“ (Deck­elungsregelung). In Anwen­dung dieser Bes­tim­mung zahlte die Beklagte der Klägerin ab dem 1. August 2018 ein Grun­dent­gelt iHv. 3.620,00 Euro brut­to, das in jährlichen Schrit­ten weit­er ange­hoben wer­den sollte.

Neben der Klägerin waren als Außen­di­en­st­mi­tar­beit­er im Ver­trieb der Beklagten zwei männliche Arbeit­nehmer beschäftigt, ein­er davon seit dem 1. Jan­u­ar 2017. Die Beklagte hat­te auch diesem Arbeit­nehmer ein Grun­dent­gelt iHv. 3.500,00 Euro brut­to ange­boten, was dieser jedoch ablehnte. Er ver­langte für die Zeit bis zum Ein­set­zen ein­er zusät­zlichen leis­tungsab­hängi­gen Vergü­tung, dh. für die Zeit bis zum 31. Okto­ber 2018 ein höheres Grun­dent­gelt iHv. 4.500,00 Euro brut­to. Die Beklagte gab dieser Forderung nach. Nach­dem die Beklagte dem Arbeit­nehmer in der Zeit von Novem­ber 2017 bis Juni 2018 – wie auch der Klägerin – ein Grun­dent­gelt iHv. 3.500,00 Euro gezahlt hat­te, vere­in­barte sie mit diesem ab dem 1. Juli 2018 eine Erhöhung des Grun­dent­gelts auf 4.000,00 Euro brut­to. Zur Begrün­dung berief sie sich ua. darauf, dass der Arbeit­nehmer ein­er aus­geschiede­nen, bess­er vergüteten Ver­trieb­smi­tar­bei­t­erin nachge­fol­gt sei. Ab dem 1. August 2018 zahlte die Beklagte dem männlichen Arbeit­nehmer ein tar­ifver­traglich­es Grun­dent­gelt nach der­sel­ben Ent­gelt­gruppe wie der Klägerin, das sich in Anwen­dung der „Deck­elungsregelung“ des § 18 Abs. 4 des Haus­tar­ifver­trags auf 4.120,00 Euro brut­to belief.

Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin von der Beklagten die Zahlung rück­ständi­ger Vergü­tung für die Zeit von März bis Okto­ber 2017 iHv. monatlich 1.000,00 Euro brut­to, rück­ständi­ge Vergü­tung für den Monat Juli 2017 iHv. 500,00 Euro brut­to sowie rück­ständi­ge Vergü­tung für die Zeit von August 2018 bis Juli 2019 iHv. monatlich 500,00 Euro brut­to. Sie hat die Auf­fas­sung vertreten, die Beklagte müsse ihr ein eben­so hohes Grun­dent­gelt zahlen wie ihrem fast zeit­gle­ich eingestell­ten männlichen Kol­le­gen. Dies folge daraus, dass sie die gle­iche Arbeit wie ihr männlich­er Kol­lege ver­richte. Da die Beklagte sie beim Ent­gelt auf­grund des Geschlechts benachteiligt habe, schulde sie ihr zudem die Zahlung ein­er angemesse­nen Entschädi­gung iHv. min­destens 6.000,00 Euro. Die Vorin­stanzen haben die Klage abgewiesen. 

Die Revi­sion der Klägerin hat­te vor dem Acht­en Sen­at des Bun­de­sar­beits­gerichts ganz über­wiegend Erfolg. 

Die Beklagte hat die Klägerin in der Zeit von März bis Okto­ber 2017 sowie im Juli 2018 dadurch auf­grund ihres Geschlechts benachteiligt, dass sie ihr, obgle­ich die Klägerin und der männliche Kol­lege gle­iche Arbeit ver­richteten, ein niedrigeres Grun­dent­gelt gezahlt hat als dem männlichen Kol­le­gen. Die Klägerin hat deshalb einen Anspruch nach Art. 157 AEUV*, § 3 Abs. 1** und § 7 Ent­g­TranspG*** auf das gle­iche Grun­dent­gelt wie ihr männlich­er Kol­lege. Der Umstand, dass die Klägerin für die gle­iche Arbeit ein niedrigeres Grun­dent­gelt erhal­ten hat als ihr männlich­er Kol­lege, begrün­det die Ver­mu­tung nach § 22 AGG****, dass die Benachteili­gung auf­grund des Geschlechts erfol­gt ist. Der Beklagten ist es nicht gelun­gen, diese Ver­mu­tung zu wider­legen. Ins­beson­dere kann sich die Beklagte für den Zeitraum von März bis Okto­ber 2017 nicht mit Erfolg darauf berufen, das höhere Grun­dent­gelt des männlichen Kol­le­gen beruhe nicht auf dem Geschlecht, son­dern auf dem Umstand, dass dieser ein höheres Ent­gelt aus­ge­han­delt habe. Für den Monat Juli 2018 kann die Beklagte die Ver­mu­tung der Ent­gelt­be­nachteili­gung auf­grund des Geschlechts ins­beson­dere nicht mit der Begrün­dung wider­legen, der Arbeit­nehmer sei ein­er bess­er vergüteten aus­geschiede­nen Arbeit­nehmerin nachgefolgt. 

Für den Zeitraum ab dem 1. August 2018 ergibt sich der höhere Ent­geltanspruch der Klägerin bere­its aus dem Tar­ifver­trag. Ent­ge­gen der Auf­fas­sung der Beklagten find­et die „Deck­elungsregelung“ in § 18 Abs. 4 Haus­tar­ifver­trag auf die Klägerin keine Anwen­dung, weil diese zuvor kein tar­i­flich­es, son­dern ein einzelver­traglich vere­in­bartes Ent­gelt erhal­ten hat.

Der Sen­at hat dem auf Zahlung ein­er Entschädi­gung nach § 15 Abs. 2 AGG***** gerichteten Antrag der Klägerin teil­weise entsprochen und dieser eine Entschädi­gung wegen ein­er Benachteili­gung auf­grund des Geschlechts iHv. 2.000,00 Euro zugesprochen.

*Art. 157 Abs. 1 AEUV:
Jed­er Mit­glied­staat stellt die Anwen­dung des Grund­satzes des gle­ichen Ent­gelts für Män­ner und Frauen bei gle­ich­er oder gle­ich­w­er­tiger Arbeit sicher.
**§ 3 Ent­g­TranspG (Ver­bot der unmit­tel­baren und mit­tel­baren Ent­gelt­be­nachteili­gung wegen des Geschlechts):
(1) Bei gle­ich­er oder gle­ich­w­er­tiger Arbeit ist eine unmit­tel­bare oder mit­tel­bare Benachteili­gung wegen des Geschlechts im Hin­blick auf sämtliche Ent­geltbe­standteile und Ent­geltbe­din­gun­gen verboten.
***§ 7 Ent­g­TranspG (Ent­gelt­gle­ich­heits­ge­bot):
Bei Beschäf­ti­gungsver­hält­nis­sen darf für gle­iche oder für gle­ich­w­er­tige Arbeit nicht wegen des Geschlechts der oder des Beschäftigten ein gerin­geres Ent­gelt vere­in­bart oder gezahlt wer­den als bei ein­er oder einem Beschäftigten des anderen Geschlechts.
****§ 22 AGG (Beweis­last)
Wenn im Stre­it­fall die eine Partei Indizien beweist, die eine Benachteili­gung wegen eines in § 1 genan­nten Grun­des ver­muten lassen, trägt die andere Partei die Beweis­last dafür, dass kein Ver­stoß gegen die Bes­tim­mungen zum Schutz vor Benachteili­gung vorgele­gen hat.
*****§ 15 AGG (Entschädi­gung und Schadensersatz)
(1) Bei einem Ver­stoß gegen das Benachteili­gungsver­bot ist der Arbeit­ge­ber verpflichtet, den hier­durch ent­stande­nen Schaden zu erset­zen. Dies gilt nicht, wenn der Arbeit­ge­ber die Pflichtver­let­zung nicht zu vertreten hat.
(2) Wegen eines Schadens, der nicht Ver­mö­genss­chaden ist, kann der oder die Beschäftigte eine angemessene Entschädi­gung in Geld ver­lan­gen. Die Entschädi­gung darf bei ein­er Nichte­in­stel­lung drei Monats­ge­häl­ter nicht über­steigen, wenn der oder die Beschäftigte auch bei benachteili­gungs­freier Auswahl nicht eingestellt wor­den wäre.

Weit­ere Infor­ma­tio­nen: https://www.bundesarbeitsgericht.de/presse/entg…