Bun­de­sar­beits­gericht, Beschluss vom 21.12.2020, AZ 5 AZR 143/19 (A)

Zur Klärung von Fra­gen im Zusam­men­hang mit der Abwe­ichung vom Grund­satz der Gle­ich­stel­lung von Lei­har­beit­nehmern und Stam­mar­beit­nehmern durch Tar­ifver­trag hat der Fün­fte Sen­at des Bun­de­sar­beits­gerichts ein Vor­abentschei­dungser­suchen an den Gericht­shof der Europäis­chen Union gerichtet.

Die Klägerin, Mit­glied der Vere­in­ten Dien­stleis­tungs­gew­erkschaft (ver.di), war von April 2016 bis April 2017 auf­grund eines befris­teten Arbeitsver­trags bei der Beklagten, die gewerblich Arbeit­nehmerüber­las­sung betreibt, als Lei­har­beit­nehmerin beschäftigt. Sie war einem Unternehmen des Einzel­han­dels für dessen Aus­liefer­ungslager als Kom­mis­sion­iererin über­lassen. Für ihre Tätigkeit erhielt die Klägerin zulet­zt einen Stun­den­lohn von 9,23 Euro brutto.

Der Inter­essen­ver­band Deutsch­er Zeitar­beit­sun­ternehmen (iGZ e.V.), dessen Mit­glied die Beklagte ist, hat mit mehreren Gew­erkschaften des DGB — darunter ver.di — Mantel‑, Ent­gel­trah­men- und Ent­gelt­tar­ifverträge geschlossen, die eine Abwe­ichung von dem in § 8 Abs. 1 AÜG ver­ankerten Grund­satz der Gle­ich­stel­lung vorse­hen, ins­beson­dere auch eine gerin­gere Vergü­tung als diejenige, die Stam­mar­beit­nehmer im Entlei­h­be­trieb erhalten.

Die Klägerin meint, diese Tar­ifverträge seien mit Union­srecht (Art. 5 Abs. 1 und Abs. 3 der Richtlin­ie 2008/104/EG) nicht vere­in­bar. Mit ihrer Klage hat sie für den Zeitraum Jan­u­ar bis April 2017 Dif­feren­zvergü­tung unter dem Gesicht­spunkt des Equal Pay ver­langt und vor­ge­tra­gen, ver­gle­ich­bare Stam­mar­beit­nehmer bei der Entlei­herin wür­den nach dem Lohn­tar­ifver­trag für die gewerblichen Arbeit­nehmer im Einzel­han­del in Bay­ern vergütet und hät­ten im Stre­itzeitraum einen Stun­den­lohn von 13,64 Euro brut­to erhal­ten. Die Beklagte ist dage­gen der Auf­fas­sung, auf­grund der bei­der­seit­i­gen Tar­ifge­bun­den­heit schulde sie nur die für Lei­har­beit­nehmer vorge­se­hene tar­i­fliche Vergü­tung, Union­srecht sei nicht verletzt.

Das Arbeits­gericht hat die Klage abgewiesen, das Lan­desar­beits­gericht die Beru­fung der Klägerin zurück­gewiesen. Mit der vom Lan­desar­beits­gericht zuge­lasse­nen Revi­sion ver­fol­gt die Klägerin ihre Klage weiter.

Art. 5 Abs. 1 der Richtlin­ie 2008/104/EG sieht vor, dass die wesentlichen Arbeits- und Beschäf­ti­gungs­be­din­gun­gen der Lei­har­beit­nehmer während der Dauer ihrer Über­las­sung an ein entlei­hen­des Unternehmen min­destens den­jeni­gen entsprechen müssen, die für sie gel­ten wür­den, wenn sie von dem entlei­hen­den Unternehmen unmit­tel­bar für den gle­ichen Arbeit­splatz eingestellt wor­den wären (Grund­satz der Gle­ich­be­hand­lung). Allerd­ings ges­tat­tet Art. 5 Abs. 3 der genan­nten Richtlin­ie den Mit­gliedsstaat­en, den Sozial­part­nern die Möglichkeit einzuräu­men, Tar­ifverträge zu schließen, die unter Achtung des Gesamtschutzes von Lei­har­beit­nehmern beim Arbeit­sent­gelt und den son­sti­gen Arbeits- und Beschäf­ti­gungs­be­din­gun­gen vom Grund­satz der Gle­ich­be­hand­lung abwe­ichen. Eine Def­i­n­i­tion des „Gesamtschutzes“ enthält die Richtlin­ie nicht, sein Inhalt und die Voraus­set­zun­gen für seine „Achtung“ sind im Schrift­tum umstrit­ten. Zur Klärung der im Zusam­men­hang mit der von Art. 5 Abs. 3 der Richtlin­ie 2008/104/EG ver­langten Achtung des Gesamtschutzes von Lei­har­beit­nehmern aufge­wor­fe­nen Fra­gen hat der Sen­at entsprechend sein­er Verpflich­tung aus Art. 267 AEUV den Gericht­shof der Europäis­chen Union um eine Vor­abentschei­dung ersucht.

Weit­ere Infor­ma­tio­nen: https://juris.bundesarbeitsgericht.de/cgi-bin/r…