Bun­de­sar­beits­gericht, Beschluss vom 01.02.2021, AZ 3 AZR 64/19

Aus­gabe: 1–2021

Die Änderung von bilanzrechtlichen Bes­tim­mungen recht­fer­tigt nicht die Anpas­sung von Ver­sorgungsregelun­gen wegen Störung der Geschäftsgrundlage.

Der ver­stor­bene Ehe­mann der Klägerin war bei der Beklagten in lei­t­en­der Posi­tion beschäftigt. Ihm war im Jahr 1976 eine Ruhege­halt­szusage erteilt wor­den, die auch eine Hin­terbliebe­nen­ver­sorgung umfasste. Diese enthielt eine Anpas­sungsregel, nach der die Ver­sorgungs­bezüge entsprechend der Entwick­lung der maßge­blichen Tar­ifge­häl­ter anzu­passen sind. Die Beklagte gab die jew­eili­gen tar­i­flichen Gehalt­ser­höhun­gen bis 2016 an die Klägerin als Bezieherin ein­er Witwen­rente vere­in­barungs­gemäß weit­er. Im Juli 2016 teilte die Beklagte der Klägerin mit, sie berufe sich auf die Störung der Geschäfts­grund­lage gemäß § 313 BGB und werde die Anpas­sungsverpflich­tung aus der Ruhege­halt­szusage kün­ftig nicht mehr wie bish­er erfüllen. Erhöhun­gen der Witwen­rente wür­den nur noch nach § 16 BetrAVG vorgenom­men wer­den. Grund für die Störung der Geschäfts­grund­lage seien erhe­blich erhöhte Rück­stel­lun­gen, die sie nach Inkraft­treten des Bilanzrechtsmod­ernisierungs­ge­set­zes 2010 (Bil­MoG) in ihrer Han­dels­bi­lanz auf­grund erhe­blich gestiegen­er Bar­w­erte der Ver­sorgungszusagen — auch der stre­it­ge­gen­ständlichen Zusage — einzustellen habe. Die Klägerin meint, die Beklagte sei weit­er­hin uneingeschränkt an die Anpas­sungsregelung in der Ruhegeldzusage gebun­den und ver­langt von der Beklagten die Zahlung der Dif­ferenz­be­träge für den Zeitraum Juli 2016 bis März 2017. Das Arbeits­gericht hat der Klage stattgegeben, das Lan­desar­beits­gericht hat auf die Beru­fung der Beklagten die Klage abgewiesen. 

Die Revi­sion der Klägerin hat­te vor dem Drit­ten Sen­at des Bun­de­sar­beits­gerichts Erfolg. Zwar ist es grund­sät­zlich möglich, die Anpas­sung von Ver­sorgungsregelun­gen auf die Störung der Geschäfts­grund­lage (§ 313 BGB) zu stützen. Vor­liegend waren die Voraus­set­zun­gen hier­für jedoch nicht erfüllt. Geschäfts­grund­lage sind die nicht zum eigentlichen Ver­tragsin­halt erhobe­nen, bei Ver­tragss­chluss aber zutage getrete­nen gemein­samen Vorstel­lun­gen bei­der Ver­tragsparteien vom Vorhan­den­sein oder dem kün­fti­gen Ein­tritt gewiss­er Umstände, wenn der Geschäftswille der Parteien auf diesen Vorstel­lun­gen auf­baut. Dem ste­ht die Vorstel­lung ein­er der Parteien gle­ich, sofern sie für die andere Partei erkennbar war und nicht von ihr bean­standet wurde. Die Beklagte hat sich nicht auf solche Vorstel­lun­gen berufen, son­dern die ver­meintliche Ver­teuerung der Witwen­rente auf Umstände gestützt, die — unverän­dert — Inhalt der Ver­sorgungszusage sind. Soweit die Beklagte den Anstieg ihrer bilanziellen Rück­stel­lun­gen auf­grund ange­blich wegen der Änderung des Bilanzrechts gestiegen­er Bar­w­erte ange­führt hat, kon­nte sie damit eben­falls nicht durch­drin­gen. Nach der han­del­srechtlichen Konzep­tion han­delt es sich bei Rück­stel­lun­gen im Wesentlichen um ein Instru­ment der Innen­fi­nanzierung. Dies hat zwar Auswirkun­gen auf den bilanziellen Gewinn bzw. Ver­lust eines Unternehmens. Allerd­ings berechtigt ein schlechter­er wirtschaftlich­er Ver­lauf des Geschäft­s­jahrs nicht zum Wider­ruf von laufend­en Betrieb­srenten und somit auch nicht zur Änderung ein­er Anpas­sungsregelung. Denn nicht ein­mal eine wirtschaftliche Not­lage kann nach den geset­zlichen Wer­tun­gen des Betrieb­srentenge­set­zes einen Wider­ruf von Ver­sorgungszusagen begrün­den. In so einem Fall eine Störung der Geschäfts­grund­lage anzunehmen, wider­spräche der geset­zlichen Risikoverteilung.

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