Recht­sprechung sieht Erschüt­terung des Beweiswerts der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung

(Stuttgart) Wer krank ist, bekommt den­noch sein Gehalt gezahlt. Das regelt das Ent­gelt­fortzahlungs­ge­setz. Den Nach­weis der Arbeit­sun­fähigkeit erbringt der Arbeit­nehmer in der Regel durch die Vor­lage eines ärztlichen Attests. Dessen Beweiswert kann aber erschüt­tert sein, wenn sich der Arbeit­nehmer zeit­gle­ich mit ein­er Kündi­gung krankmeldet. Lohn gibt es dann nur, wenn der Arbeit­nehmer konkret zum Vor­liegen sein­er Erkrankung aus­führt, so einige neuere gerichtliche Entschei­dun­gen. 

Die arbeit­srechtliche Lage fasst der Ham­burg­er Fachan­walt für Arbeit­srecht Prof. Dr. Michael Fuhlrott zusam­men. 

Regelfall: Kein Lohn ohne Arbeit 

Der Arbeit­nehmer erhält seinen Lohn nur, wenn er arbeit­et. „Hier­von gibt es aber zahlre­iche Aus­nah­men“, so Arbeit­srechtler Prof. Dr. Michael Fuhlrott, der etwa auf den bezahlten Erhol­ung­surlaub hin­weist, der jedem Arbeit­nehmer geset­zlich zuste­ht. Gle­ich­es gelte auch für die Lohn­zahlung an Arbeit­sta­gen, die auf­grund von Feierta­gen aus­fall­en. Auch hier muss der Arbeit­ge­ber den Lohn weiterzahlen.

Eine weit­ere wichtige Aus­nahme vom Grund­satz „Kein Lohn ohne Arbeit“ ist zudem die Ent­gelt­fortzahlung im Krankheits­fall: Nach § 3 Ent­gelt­fortzahlungs­ge­setz (EFZG) behält der Arbeit­nehmer seinen Lohnanspruch für die Dauer von max­i­mal sechs Wochen, wenn er auf­grund unver­schulde­ter Arbeit­sun­fähigkeit infolge von Krankheit sein­er Tätigkeit nicht nachge­hen kann.

Nach­weis der Arbeit­sun­fähigkeit durch „gel­ben Schein“

Den Nach­weis der Arbeit­sun­fähigkeit erbringt der Arbeit­nehmer dabei regelmäßig durch Vor­lage eines ärztlichen Attests, dem vor­ma­li­gen „gel­ben Schein“. Legt der Arbeit­nehmer ein solch­es Attest vor, gilt er als krank.

„Ein Arbeit­ge­ber, der meint, die Erkrankung sei vor­getäuscht, muss sehr konkrete Anhalt­spunk­te vor­tra­gen, die den hohen Beweiswert der Arbeit­sun­fähigkeits­bescheini­gung erschüt­tern“, so Fachan­walt Michael Fuhlrott. „Das kann etwa dann der Fall sein, wenn der als Verkäufer arbei­t­ende Arbeit­nehmer während der Krankheit am Mark­t­stand eines Fre­un­des ste­ht oder der Mau­r­er bei der Ren­ovierung des Haus­es eines Fre­un­des tatkräftig hil­ft und dort mit anpackt“, erläutert Arbeit­srecht­san­walt Fuhlrott.

Die Anforderun­gen der Recht­sprechung sind hier aber sehr hoch: „In vie­len Fällen stellt sich daher für Unternehmen die Frage, wie auf eine Krankschrei­bung zu reagieren ist, die auf­grund der Gesam­tum­stände Zweifel an der Krankschrei­bung aufkom­men lässt.

Bun­de­sar­beits­gericht: Gesam­tum­stände kön­nen Beweiswert erschüttern

Bere­its 2021 hat­te das Bun­de­sar­beits­gericht (Urt. v. 8.9.21, Az.: 5 AZR 149/21) entsch­ieden, dass sich “Zweifel am Vor­liegen ein­er Erkrankung (…) daraus ergeben (…), dass eine am Tag der Eigenkündi­gung des Arbeit­nehmers aus­gestellte Arbeit­sun­fähigkeits­bescheini­gung pass­ge­nau die nach der Kündi­gung noch verbleibende Dauer des Arbeitsver­hält­niss­es abdeckt”.

„Wer also zu Ende des Fol­ge­monats kündigt und gle­ichzeit­ig ein Attest bis zu diesem Datum ein­re­icht oder in der Folge ver­längert, riskiert die Lohn­fortzahlung im Krankheits­fall. Er muss jeden­falls genau dar­legen, dass er “wirk­lich” krank war und hierzu ggf. den Arzt von der Schweigepflicht ent­binden und zu den Ursachen der Krankheit vor­tra­gen,“ fasst Arbeit­srechtler Fuhlrott die Recht­sprechung zusammen.

In diesem Sinne urteilte auch das Lan­desar­beits­gericht Schleswig-Hol­stein (Urt. v. 2.5.2023, Az.: 2 Sa 203/22) und sprach ein­er Arbeit­nehmerin nach deren Eigenkündi­gung mit gle­ichzeit­iger Krankmel­dung den Lohnanspruch ab. Ein solch­er Zusam­men­hang erschüt­tere den Beweiswert des ärztlichen Attests. Ein Arbeit­nehmer müsse dann zumin­d­est laien­haft schildern, welche konkreten gesund­heitlichen Beein­träch­ti­gun­gen mit welchen Auswirkun­gen auf seine Arbeits­fähigkeit bestanden haben. Soweit er sich auf das Zeug­nis der behan­del­nden Ärzte beruft, müsse dazu eine Schweigepflich­t­ent­bindung vorgelegt werden.

Erschüt­terung des Beweiswerts auch bei Krankmel­dung nach Arbeitgeberkündigung

Noch strenger sah es das Lan­desar­beits­gericht Nieder­sach­sen (Urt. v. 8.3.23, Az.: 8 Sa 859/22) in ein­er aktuelleren Entschei­dung. Zwar gaben die Rich­terin­nen und Richter im konkreten Fall der Klage auf Lohn­zahlung im Krankheits­fall statt.

Gle­ichzeit­ig betonte die Kam­mer aber, dass der Beweiswert ein­er Arbeit­sun­fähigkeits-bescheini­gung auch dann erschüt­tert sein kann, wenn der Arbeit­nehmer sich nach Erhalt ein­er arbeit­ge­ber­seit­i­gen Kündi­gung post­wen­dend krankmeldet. Dies gelte ins­beson­dere dann, wenn lück­en­los der gesamte Zeitraum der Kündi­gungs­frist – auch durch mehrere Atteste – abgedeckt werde, so die Entscheidung.

Keine Lohn­zahlung auch bei Kran­mel­dung nach Abmah­nung oder Versetzung?

Diese Recht­sprechung kön­nte man nach Sichtweise von Arbeit­srecht­spro­fes­sor Fuhlrott auch auf andere Kon­stel­la­tio­nen über­tra­gen: „Der Arbeit­nehmer erhält eine Abmah­nung und meldet sich direkt daraufhin krank. Dem Arbeit­nehmer wird eine ihm unan­genehme Arbeitsweisung erteilt, er meldet sich daraufhin krank. Auch hier sprechen gute Argu­mente dafür, dass der Arbeit­ge­ber zunächst die Lohn­zahlung ein­stellen kann.“

Der Arbeit­nehmer sei dabei nach Auf­fas­sung des Ham­burg­er Arbeit­srechtlers nicht schut­z­los gestellt und könne auch seinen Lohnanspruch behal­ten: „Er muss aber dar­legen, dass er “wirk­lich” krank vor. Dafür muss er vor­tra­gen, welche Krankheitssymp­tome er hat­te; auch kann er seinen Arzt von der Schweigepflicht ent­binden. Bei einem auf­fäl­li­gen Zusam­men­hang ist dies aber ein zumut­bar­er Aufwand“, meint der Arbeitsrechtler.

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