Bun­de­sar­beits­gericht stärkt mit grundle­gen­der Entschei­dung Arbeitnehmerrechte

(Stuttgart) Nicht genommene Urlaub­sansprüche ver­jähren nur, wenn der Arbeit­nehmer auf seinen Urlaub­sanspruch vorher durch seinen Arbeit­ge­ber hingewiesen wurde. Mit sein­er aktuellen Entschei­dung stärkt das Bun­de­sar­beits­gericht die Rechte von Beschäftigten und set­zt zwin­gende euro­parechtliche Vor­gaben um. Ob Arbeit­nehmer wom­öglich auch die Abgel­tung von nicht erfüll­ten Urlaub­sansprüchen aus vor­ma­li­gen und bere­its been­de­ten Arbeitsver­hält­nis­sen ver­lan­gen kön­nen, bleibt ungeklärt.

Die Recht­slage stellt Fachan­walt für Arbeit­srecht Prof. Dr. Michael Fuhlrott dar. 

Euro­parechtliche Prä­gun­gen des deutschen Urlaubsrechts

Jedem Vol­lzeitbeschäftigten ste­ht ein bezahlter Urlaub­sanspruch von min­destens vier Wochen je Kalen­der­jahr zu. Urlaub dient der Erhol­ung. Er soll daher tat­säch­lich genom­men wer­den. Sind aber noch Urlaub­sansprüche bei der Beendi­gung des Arbeitsver­hält­niss­es „übrig“, sind diese vom Arbeit­ge­ber abzugel­ten und auszuzahlen. Das ergibt sich nicht nur aus dem deutschen Bun­desurlaub­s­ge­setz (BUrlG), son­dern ist auch in der europäis­chen Arbeit­szeitrichtlin­ie fest­geschrieben. Der Europäis­che Gericht­shof (EuGH), der für die die Ausle­gung dieser Vorschrift zuständig ist, hat daher in der Ver­gan­gen­heit schon mehrfach betont, wie bedeut­sam das Recht auf bezahlten Erhol­ung­surlaub für Beschäftigte ist.

Erst 2018 entsch­ied der EuGH (Urt. v. 6.11.2018, Az.: C‑684/16) daher, dass Arbeit­ge­ber ihre Beschäftigten informieren müssen, dass diese ein Recht auf Urlaub haben und nicht beanspruchter Urlaub spätestens zum 31. März des Fol­ge­jahres ver­fällt. „Viele Unternehmen informieren daher ihre Arbeit­nehmer regelmäßig zum Jahres­be­ginn über ihren Urlaub, etwa durch einen Hin­weis auf der Gehaltsabrech­nung oder per Email“, erläutert Arbeit­srechtler Prof. Dr. Michael Fuhlrott. „Unternehmen kom­men damit den Vor­gaben der Recht­sprechung nach und kön­nen so ein Ansam­meln von Urlaub­sansprüchen ver­mei­den“, führt Arbeit­srechtler Fuhlrott weit­er aus, der zudem darauf hin­weist, dass Arbeit­ge­ber im Stre­it­fall eine entsprechende ord­nungs­gemäße Infor­ma­tion ihrer Mitar­beit­er beweisen müssen.

Bis­lang: Ver­jährung alter Urlaubsansprüche

Arbeit­ge­ber, die eine solche Infor­ma­tion nicht vorgenom­men hat­ten, kon­nten sich aber bis­lang nach all­ge­mein­er Ansicht auf das deutsche Ver­jährungsrecht berufen. Denn danach ver­jähren Ansprüche gegen eine andere Per­son regelmäßig nach drei Jahren (§ 195 Bürg­er­lich­es Geset­zbuch – BGB). „Urlaub­sansprüche aus Vor­jahren kon­nten daher nur begren­zt gel­tend gemacht wer­den. Für einen Ex-Arbeit­ge­ber bestand daher kein großes Risiko, durch einen vor­ma­li­gen Beschäftigten in Anspruch genom­men zu wer­den“, so der Ham­burg­er Arbeit­srecht­spro­fes­sor Fuhlrott.

In dem am 20.12.2022 vom Bun­de­sar­beits­gericht (BAG) entsch­iede­nen Fall (Urt. v. 20.12.2022, Az.: 9 AZR 266/20) klagte eine Steuer­fachangestellte gegen ihren vor­ma­li­gen Arbeit­ge­ber auf Abgel­tung nicht genommen­er Urlaub­sansprüche der Jahre 2013 bis 2016. Das BAG legte den Fall im Wege eines Vor­abentschei­dungsver­fahren dem EuGH vor. Es wollte von diesem gek­lärt wis­sen, ob das deutsche Ver­jährungsrecht auch dann auf alte Urlaub­sansprüche Anwen­dung find­en darf, wenn der Arbeit­ge­ber den Arbeit­nehmer vorher nicht auf den denkbaren Ver­fall des Urlaubs hingewiesen hatte.

Europäis­che und nun auch deutsche Gerichte: Keine Urlaubsverjährung

Der EuGH teilte dem BAG in sein­er Entschei­dung bere­its aus Sep­tem­ber 2022 (Urt. v. 22.9.2022, Az.: C‑120/21) mit, dass die beson­dere Bedeu­tung des Urlaubs und die europäis­chen Vor­gaben ein­er Ver­jährung in einem solchen Fall entgegenstünden.

“Der­jenige, der seinen Infor­ma­tion­spflicht­en nicht nachkommt, soll sich nicht auch noch als Beloh­nung auf eine spätere Ver­jährung berufen dür­fen. Dieser Gesicht­spunkt ist dem Gericht wichtiger als Rechtssicher­heit, die Ver­jährungsvorschriften bezweck­en“, so der Fachan­walt für Arbeitsrecht.

Die höch­sten deutschen Arbeit­srichter set­zten diese Vor­gaben aus Europa mit ihrer heuti­gen Entschei­dung um: Zwar könne auch der Urlaub­sanspruch ver­jähren. Die Ver­jährungs­frist beginne aber nur zu laufen, wenn zuvor durch den Arbeit­ge­ber über den Urlaub und dessen Ver­fall informiert wor­den sei. „Das Gericht bew­ertet damit den Arbeit­nehmer­schutz höher als den Rechts­frieden. Der Arbeit­ge­ber, der seine Mitar­beit­er nicht informiert hat, soll nicht durch das Berufen auf Ver­jährung belohnt wer­den,“ so Anwalt Fuhlrott.

Dro­ht eine Klagewelle auf Urlaubsabgeltung?

„Die Entschei­dung stärkt zweifel­sohne die Rechte von Beschäftigten. Unternehmen, die ihrer Infor­ma­tion­spflicht bis­lang nicht nachgekom­men sind, kön­nten sich bald mit ein­er Vielzahl von Urlaub­sansprüchen kon­fron­tiert sehen“, meint Arbeit­srechtler Fuhlrott.

Da Urlaub­sansprüche nun­mehr nicht ver­jähren, sei auch die erfol­gre­iche Gel­tend­machung von Urlaub­sabgel­tungsansprüchen durch vor­ma­lige Beschäftigte gegen ihre Ex-Arbeit­ge­ber denkbar: „Wenn Urlaub nicht mehr ver­fällt, kön­nte ich auch noch beste­hende Resturlaub­sansprüche gegen meinen alten Arbeit­ge­ber gel­tend machen, bei dem ich vor 10 Jahren aus­geschieden bin und deren Auszahlung verlangen.“

Ob solche Kla­gen auf Abgel­tung bis­lang nicht genomme­nen Urlaubs möglich sein wer­den, ist der bis­lang nur vor­liegen­den Pressemit­teilung nicht zu ent­nehmen. Arbeit­srechtler Fuhlrott sieht aber eine Gefahr für Unternehmen und warnt vor den Kon­se­quen­zen der Entschei­dung: „Die Entschei­dung ist zwar nur in einem konkreten Einzelfall ergan­gen. Der Anspruch auf Auszahlung nicht genomme­nen Urlaubs fol­gt aber aus dem Urlaub­sanspruch.“ Daher sei denkbar, dass Gerichte Arbeit­nehmern kün­ftig auch Zahlungsansprüche für weit zurück­liegende Resturlaub­sansprüche gegen vor­ma­lige Arbeit­ge­ber zus­prechen, meint der Arbeitsrechtler.

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