(Stuttgart) Von dem Grund­satz, dass Lei­har­beit­nehmer für die Dauer ein­er Über­las­sung Anspruch auf gle­ich­es Arbeit­sent­gelt wie ver­gle­ich­bare Stam­mar­beit­nehmer des Entlei­hers haben („equal pay“), kann nach § 8 Abs. 2 AÜG ein Tar­ifver­trag „nach unten“ abwe­ichen mit der Folge, dass der Ver­lei­her dem Lei­har­beit­nehmer nur die niedrigere tar­i­fliche Vergü­tung zahlen muss.

Ein entsprechen­des Tar­ifw­erk hat der Inter­essen­ver­band Deutsch­er Zeitar­beit­sun­ternehmen (iGZ) mit der Gew­erkschaft ver.di geschlossen. Dieses genügt den union­srechtlichen Anforderun­gen des Art. 5 Abs. 3 Richtlin­ie 2008/104/EG (Lei­har­beits-RL). 

Darauf ver­weist der Stuttgarter Fachan­walt für Arbeit­srecht Michael Henn, Präsi­dent des VDAA — Ver­band deutsch­er Arbeit­srecht­sAn­wälte e. V. mit Sitz in Stuttgart, unter Hin­weis auf die Mit­teilung des Bun­de­sar­beits­gerichts (BAG) zu seinem Urteil vom 31. Mai 2023 – 5 AZR 143/19 –.

Die Klägerin war auf­grund eines nach § 14 Abs. 2 TzBfG befris­teten Arbeitsver­hält­niss­es bei der Beklagten, die gewerblich Arbeit­nehmerüber­las­sung betreibt, als Lei­har­beit­nehmerin in Teilzeit beschäftigt. Sie war im Stre­itzeitraum Jan­u­ar bis April 2017 haupt­säch­lich einem Unternehmen des Einzel­han­dels als Kom­mis­sion­iererin über­lassen und ver­di­ente zulet­zt 9,23 Euro brutto/Stunde. Sie hat behauptet, ver­gle­ich­bare Stam­mar­beit­nehmer erhiel­ten einen Stun­den­lohn von 13,64 Euro brut­to und mit ihrer Klage unter Beru­fung auf den Gle­ich­stel­lungs­grund­satz des § 8 Abs. 1 AÜG bzw. § 10 Abs. 4 Satz 1 AÜG aF für den Zeitraum Jan­u­ar bis April 2017 Dif­feren­zvergü­tung iHv. 1.296,72 Euro brut­to ver­langt. Sie hat gemeint, das auf ihr Lei­har­beitsver­hält­nis kraft bei­der­seit­iger Tar­ifge­bun­den­heit Anwen­dung find­ende Tar­ifw­erk von iGZ und ver.di sei mit Art. 5 Abs. 3 Lei­har­beits-RL und der dort ver­langten Achtung des Gesamtschutzes der Lei­har­beit­nehmer nicht vere­in­bar. Die Beklagte hat Klage­ab­weisung beantragt und gel­tend gemacht, das Tar­ifw­erk von iGZ und ver.di ver­stoße nicht gegen Union­srecht, außer­dem hat sie die Höhe der von der Klägerin behaupteten Vergü­tung ver­gle­ich­bar­er Stam­mar­beit­nehmer des Entlei­hers mit Nichtwissen bestritten.

Die Vorin­stanzen haben die Klage abgewiesen. Die Revi­sion der Klägerin blieb vor dem Fün­ften Sen­at des Bun­de­sar­beits­gerichts erfolglos.

Um union­srechtliche Fra­gen zu klären, hat­te der Sen­at zunächst mit Beschluss vom 16. Dezem­ber 2020 (- 5 AZR 143/19 (A) – BAGE 173, 251) das Revi­sionsver­fahren aus­ge­set­zt und den Gericht­shof der Europäis­chen Union (EuGH) gemäß Art. 267 AEUV um Vor­abentschei­dung von Rechts­fra­gen im Zusam­men­hang mit der von Art. 5 Abs. 3 Lei­har­beits-RL ver­langten, aber nicht näher definierten „Achtung des Gesamtschutzes von Lei­har­beit­nehmern“ ersucht. Diese hat der EuGH mit Urteil vom 15. Dezem­ber 2022 (- C‑311/21 – [TimePart­ner Per­sonal­man­age­ment]) beantwortet.

Nach Fort­set­zung der Revi­sionsver­hand­lung hat der Sen­at heute die Revi­sion der Klägerin als unbe­grün­det zurück­gewiesen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf gle­ich­es Arbeit­sent­gelt, also auf ein Arbeit­sent­gelt, wie es ver­gle­ich­bare Stam­mar­beit­nehmer des Entlei­hers erhalten.

Auf­grund des wegen der bei­der­seit­i­gen Tar­ifge­bun­den­heit auf das Lei­har­beitsver­hält­nis Anwen­dung find­en­den Tar­ifw­erks von iGZ und ver.di war die Beklagte nach § 8 Abs. 2 Satz 2 AÜG und § 10 Abs. 4 Satz 1 AÜG aF nur verpflichtet, die tar­i­fliche Vergü­tung zu zahlen. Dieses Tar­ifw­erk genügt, jeden­falls im Zusam­men­spiel mit den geset­zlichen Schutzvorschriften für Lei­har­beit­nehmer, den Anforderun­gen des Art. 5 Abs. 3 Leiharbeits-RL.

Trifft der Sachvor­trag der Klägerin zur Vergü­tung ver­gle­ich­bar­er Stam­mar­beit­nehmer zu, hat die Klägerin zwar einen Nachteil erlit­ten, weil sie eine gerin­gere Vergü­tung erhal­ten hat, als sie erhal­ten hätte, wenn sie unmit­tel­bar für den gle­ichen Arbeit­splatz von dem entlei­hen­den Unternehmen eingestellt wor­den wäre. Eine solche Schlechter­stel­lung lässt aber Art. 5 Abs. 3 Lei­har­beits-RL aus­drück­lich zu, sofern dies unter „Achtung des Gesamtschutzes der Lei­har­beit­nehmer“ erfol­gt. Dazu müssen nach der Vor­gabe des EuGH Aus­gle­ichsvorteile eine Neu­tral­isierung der Ungle­ich­be­hand­lung ermöglichen. Ein möglich­er Aus­gle­ichsvorteil kann nach der Recht­sprechung des EuGH sowohl bei unbe­fris­teten als auch befris­teten Lei­har­beitsver­hält­nis­sen die Fortzahlung des Ent­gelts auch in ver­lei­h­freien Zeit­en sein. Anders als in eini­gen anderen europäis­chen Län­dern sind ver­lei­h­freie Zeit­en nach deutschem Recht auch bei befris­teten Lei­har­beitsver­hält­nis­sen stets möglich, etwa wenn – wie im Stre­it­fall – der Lei­har­beit­nehmer nicht auss­chließlich für einen bes­timmten Ein­satz eingestellt wird oder der Entlei­her sich ver­traglich ein Mit­spracherecht bei der Auswahl der Lei­har­beit­nehmer vor­be­hält. Das Tar­ifw­erk von iGZ und ver.di gewährleis­tet die Fortzahlung der Vergü­tung in ver­lei­h­freien Zeit­en. Außer­dem hat der deutsche Geset­zge­ber mit § 11 Abs. 4 Satz 2 AÜG für den Bere­ich der Lei­har­beit zwin­gend sichergestellt, dass Ver­lei­her das Wirtschafts- und Betrieb­srisiko für ver­lei­h­freie Zeit­en uneingeschränkt tra­gen, weil der Anspruch auf Annah­mev­erzugsvergü­tung nach § 615 Satz 1 BGB, der an sich abd­ing­bar ist, im Lei­har­beitsver­hält­nis nicht abbedun­gen wer­den kann. Auch hat der Geset­zge­ber dafür gesorgt, dass die tar­i­fliche Vergü­tung von Lei­har­beit­nehmern staatlich fest­ge­set­zte Loh­nun­ter­gren­zen und den geset­zlichen Min­dest­lohn nicht unter­schre­it­en darf. Zudem ist seit dem 1. April 2017 die Abwe­ichung vom Grund­satz des gle­ichen Arbeit­sent­gelts nach § 8 Abs. 4 Satz 1 AÜG zeitlich grund­sät­zlich auf die ersten neun Monate des Lei­har­beitsver­hält­niss­es begrenzt.

Henn emp­fahl, die Entschei­dung zu beacht­en und in Zweifels­fällen rechtlichen Rat einzu­holen, wobei er u. a. dazu auch auf den VDAA-Ver­band deutsch­er Arbeit­srecht­sAn­wälte e. V. – www.vdaa.de – ver­wies.

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