Bun­de­sar­beits­gericht: Arbeit­ge­ber tra­gen nicht das Betrieb­srisiko bei behördlich­er Schließung

(Stuttgart) Kein Lohn ohne Arbeit, so lautet eine Grun­dregel des Arbeit­srechts. Kann der Arbeit­nehmer aber auf­grund ein­er behördlichen Schließungsanord­nung nicht beschäftigt wer­den, erhält er damit nicht sein Gehalt. Das unternehmerische Risiko trägt in Fällen lan­desweit­er pan­demiebe­d­ingter Schließungsanord­nun­gen nicht der Arbeit­ge­ber, so urteilte das Bun­de­sar­beits­gericht in sein­er Entschei­dung vom 13.10.2021.

Die Recht­slage stellt der Ham­burg­er Fachan­walt für Arbeit­srecht Prof. Dr. Michael Fuhlrott dar.

Grund­satz: Arbeit­ge­ber trägt Betriebsrisiko

Im Zusam­men­hang mit der ersten Coro­na-Welle im Früh­jahr 2020 mussten viele Unternehmen infolge behördlich­er Anord­nun­gen schließen und durften ihre Geschäft­sräume nicht für den Pub­likumsverkehr öff­nen. Viele Arbeit­nehmer kon­nten daraufhin nicht beschäftigt werden.

„Grund­sät­zlich behält ein Arbeit­nehmer in ein­er solchen Sit­u­a­tion seinen Lohnanspruch“, so Arbeit­srechtler Prof. Dr. Michael Fuhlrott unter Ver­weis auf die geset­zliche Regelung in § 615 S. 3 Bürg­er­lich­es Geset­zbuch (BGB). Es gelte zwar der Grund­satz: Ohne Arbeit, kein Lohn. In Fällen, in denen der Arbeit­nehmer arbeits­fähig und ‑willig sei, werde diese Regel aber aus Grün­den des Arbeit­nehmer­schutzes durch­brochen: „Der Arbeit­ge­ber trägt grund­sät­zlich das Betrieb­srisiko. Damit ist er dafür ver­ant­wortlich, dass er seinen Beschäftigten einen Arbeit­splatz und Arbeit zur Ver­fü­gung stellt. Kann er dies – aus welchen Grün­den auch immer – nicht, muss er den­noch den Lohn weit­erzahlen“, so Fuhlrott. „Dahin­ter steckt der Gedanke, dass der Arbeit­ge­ber den wirtschaftlichen Nutzen aus dem Betrieb zieht. Er gestal­tet die Abläufe nach seinen Vor­gaben. Als Kehr­seite davon trägt er dann auch das wirtschaftliche Risiko des erfol­gre­ichen Betriebs“, so Fuhlrott weiter.

Erster Fall zur Vergü­tungspflicht vor dem Bundesarbeitsgericht

Das Bun­de­sar­beits­gericht (Urt. v. 13.10.2021, Az.: 5 AZR 211/21) entsch­ied nun, dass dieser Grund­satz nicht in Fällen lan­des- bzw. bun­desweit ver­hängter Schließungsanord­nun­gen gelte.

Anlass der Befas­sung war die Klage ein­er Arbeit­nehmerin, die ein­er Fil­iale eines Näh­maschi­nen­han­dels im nieder­säch­sis­chen Ver­den als ger­ingfügige Beschäftigte auf EUR 450-Basis („Mini­job­berin“) tätig war. Während für ihre sozialver­sicherungspflichtig beschäftigten Kol­legin­nen und Kol­le­gen Kurzarbeit einge­führt wurde und diese staatliche Lohn­er­sat­zleis­tun­gen erhiel­ten, wurde die kla­gende Arbeit­nehmerin unbezahlt freigestellt.

„Die Ein­führung von Kurzarbeit ist nur möglich, wenn es sich um ein sozialver­sicherungs-pflichtiges Beschäf­ti­gungsver­hält­nis han­delt. Ger­ingfügig Beschäftigte erfüllen daher nicht die per­sön­lichen Voraus­set­zun­gen der Kurzarbeit“, erläutert Arbeit­srechtler Fuhlrott.

Die Arbeit­nehmerin klagte daher ihren Lohn für April 2020 ein. Das erstin­stan­zlich mit der Sache befasste Arbeits­gericht Ver­den und das Lan­desar­beits­gericht Han­nover als Beru­fungsin­stanz hat­ten der Arbeit­nehmerin Recht gegeben. Sie verurteil­ten den Arbeit­ge­ber zur Zahlung.

Bun­de­sar­beits­gericht: All­ge­meine Grund­sätze gel­ten nicht

Der Arbeit­ge­ber wandte sich daraufhin an das Bun­de­sar­beits­gericht. Er machte gel­tend, dass es sich bei lan­desweit­en Coro­na-Schließun­gen nicht um sein per­sön­lich­es Wirtschaft­srisiko han­dele. Vielmehr han­dele es sich dabei um die Folge ein­er all­ge­mein-behördlichen Anweisung zur Schließung nicht leben­snotwendi­ger Bere­iche des Wirtschaft­slebens mit dem Ziel der all­ge­meinen Infek­tion­ss­chutzbekämp­fung. Daher müsse von der geset­zlichen Regelung in Fällen wie diesen eine Aus­nahme gemacht werden.

Das Bun­de­sar­beits­gericht gab dem Arbeit­ge­ber heute Recht. Dem Arbeit­nehmer ste­he kein Anspruch auf Ent­geltzahlung unter dem Gesicht­spunkt des Annah­mev­erzugs zu. Denn der Arbeit­ge­ber trage nicht das Risiko des Arbeit­saus­falls, wenn zum Schutz der Bevölkerung vor schw­eren Krankheitsver­läufen durch behördliche Anord­nung nahezu flächen­deck­end alle nicht für die Ver­sorgung der Bevölkerung notwendi­gen Ein­rich­tun­gen geschlossen wür­den. In einem solchen Fall real­isiere sich nicht ein in einem bes­timmten Betrieb angelegtes Betrieb­srisiko. Es sei Sache des Staates, gegebe­nen­falls für einen adäquat­en Aus­gle­ich zu sorgen.

Wirtschaft­srisiko trägt in Pan­demiefällen nicht der Arbeitgeber

„Die Entschei­dung ist von enormer Bedeu­tung für Unternehmen. Wird ein Betrieb zur Schließung verpflichtet und kön­nen die Mitar­beit­er nicht beschäftigt wer­den, haben sie keinen Anspruch auf Lohn­zahlung“, so der Ham­burg­er Arbeit­srechtler. „Ob und in welchem Umfang Arbeit­nehmer dann eine Kom­pen­sa­tion erhal­ten, ist nicht Sache des Arbeit­ge­bers“, so das Urteil. „Denn diesem kön­nen die ange­fal­l­enen Lohnkosten infolge der hoheitlichen Schließungsanord­nung nicht ange­lastet wer­den“, so Fuhlrott weit­er. „Das Urteil ist zu einem Fall ein­er Mini­job­berin ergan­gen“, schränkt Fuhlrott ein. „Ob man diese Grund­sätze auch auf sozialver­sicherungspflichtige Beschäftigte über­tra­gen kann, bleibt abzuwarten“, meint Fuhlrott. „Vom Grund­satz her ste­ht dem aber nichts ent­ge­gen. Let­ztlich geht es hier um die Risikoverteilung zwis­chen Arbeit­nehmer und Arbeit­ge­ber. Das Bun­de­sar­beits­gericht hat heute entsch­ieden, dass Arbeit­ge­ber dieses Risiko nicht tra­gen müssen, son­dern der Staat sich darum küm­mern muss.“

Fuhlrott emp­fiehlt Arbeit­ge­bern und Arbeit­nehmern bei Fra­gen zur Lohn­fortzahlung in der­ar­ti­gen Kon­stel­la­tio­nen Recht­srat einzu­holen, wobei er dazu u.a. auf den VDAA Ver­band deutsch­er Arbeit­srecht­sAn­wälte e. V. – www.vdaa.de – verweist.

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Prof. Dr. Michael Fuhlrott
Recht­san­walt | Fachan­walt für Arbeitsrecht
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