Das Wichtig­ste zur Entschädi­gung aus § 56 Abs. 1 Infek­tion­ss­chutzge­setz: Von A wie Antrag bis Z wie Zuzahlung 

(Stuttgart) § 56 Abs. 1 Infek­tion­ss­chutzge­setz soll finanzielle Nachteile auf­fan­gen, die entste­hen, wenn Arbeit­nehmer oder Selb­st­ständi­ge im Zuge der Coro­na-Krise wegen notwendig gewor­den­er Kinder­be­treu­ung ihrer Arbeit nicht nachge­hen kön­nen. Doch wer hat genau einen Anspruch? Wann ist dieser aus­geschlossen? Und von wem ist der Antrag zu stellen?

Der Köl­ner Fachan­walt für Arbeit­srecht Volk­er Görzel, Leit­er des Fachauss­chuss­es „Betrieb­sver­fas­sungsrecht und Mitbes­tim­mung“ des VDAA — Ver­band deutsch­er Arbeit­srecht­sAn­wälte e. V. mit Sitz in Stuttgart, gibt hierzu einen Überblick:

  • Grundbe­din­gun­gen des Entschädi­gungsanspruchs auf einen Blick

Fol­gende vier Bedin­gun­gen müssen zusam­men erfüllt sein:

  • Die Schule oder Kindertagesstätte oder Ein­rich­tung für Men­schen mit Behin­derun­gen, die das Kind besucht, muss auf­grund behördlich­er Anord­nung geschlossen wor­den sein
  • das Kind darf das zwölfte Leben­s­jahr noch nicht vol­len­det haben (d.h. dass das Kind höch­stens 11 Jahre alt ist) oder es muss ohne Alter­sein­schränkung auf­grund ein­er Behin­derung auf Hil­fe angewiesen sein
  • das Kind muss in der Zeit der Schließung Arbeitnehmer/ dem Selb­st­ständi­gen selb­st zu Hause beauf­sichtigt, betreut oder gepflegt wer­den, weil eine ander­weit­ige zumut­bare Betreu­ung nicht sichergestellt wer­den konnte.
  • Die erwerb­stätige Per­son muss dadurch einen Ver­di­en­staus­fall erleiden.

Weit­erge­hende häu­fig gestellte Fra­gen im Überblick 

  • Wer hat genau einen Anspruch auf Entschädi­gung bei notwendi­ger Kinderbetreuung?

Den Anspruch haben grund­sät­zlich Arbeitnehmer*innen, die im Zuge der Coro­na-Krise wegen notwendig gewor­den­er Kinder­be­treu­ung nicht arbeit­en kön­nen. Auch die Arbeit­ge­ber sind anspruchs­berechtigt, wenn sie in Vor­leis­tung gehen. Der Antrag auf Entschädi­gung ist dann vom Arbeit­ge­ber zu stellen. Dies sorgt auch dafür, dass es bei den Arbeitnehmern*innen nicht zu Verzögerun­gen beim Mit­telzu­fluss kommt und der Leben­sun­ter­halt sichergestellt wer­den kann. Auch Selb­st­ständi­ge und „Mini­job­ber“ haben einen Anspruch und sind gegenüber dem für sie zuständi­gen Land­schaftsver­band antragsberechtigt.

  • Wie hoch fall­en die Entschädi­gun­gen aus und für welchen Zeitraum wer­den diese bewilligt? 

Gezahlt wer­den 67 Prozent des Net­to-Ver­di­en­staus­falls, max­i­mal 2.016 Euro pro Kalen­der­monat und 80 Prozent der Sozial­ab­gaben des/der betr­e­f­fend­en Arbeitnehmer*in oder des/der selb­st­ständig Täti­gen. Bei ein­er Arbeit­szeitre­duzierung ist eine anteilige Entschädi­gung möglich. Die Entschädi­gung wird für bis zu 10 Wochen bzw. bei allein betreuen­den, pfle­gen­den oder beauf­sichti­gen­den erwerb­stäti­gen Per­so­n­en bis zu 20 Wochen gewährt. Bei Selb­st­ständi­gen wird als Ver­di­en­staus­fall ein Zwölf­tel des let­zten jährlichen Arbeit­seinkom­mens zugrunde gelegt. Auch hier beträgt der Entschädi­gungs­be­trag max­i­mal 2.016 Euro pro Kalen­der­monat. Darüber hin­aus kön­nen Aufwen­dun­gen für die pri­vate soziale Sicherung in angemessen­em Umfang gel­tend gemacht werden.

  • Muss ich meinem Mitar­beit­er trotz­dem das volle Gehalt zahlen also die Dif­ferenz zwis­chen Entschädi­gung und Gehalt zuzahlen?

Es han­delt sich hier um einen geset­zlichen Entschädi­gungsanspruch, der der Höhe nach begren­zt ist. Sie dür­fen für die Zeit das volle Gehalt zahlen, dies liegt in Ihrem Ermessen.

  • Wann beste­ht kein Anspruch auf Entschädi­gung bei notwendi­ger Kinderbetreuung? 

Kein Anspruch beste­ht bei Arbeitnehmer*innen, die

  • im Home-Office arbeit­en oder
  • andere Möglichkeit­en haben, ihrer Arbeit „vorüberge­hend bezahlt fernzubleiben“. Dies ist zum Beispiel gegeben durch 
    • den Abbau von Zeitguthaben oder
    • bezahlte Freis­tel­lung (nach § 616 BGB) oder
    • wenn der/die Arbeitnehmer*in aus anderen Grün­den bezahlt freigestellt wird (d.h., wenn der/die Arbeitnehmer*in bere­its nach anderen geset­zlichen, tar­i­flichen, betrieblichen oder indi­vid­u­al­rechtlichen Grund­la­gen unter Fortzahlung des Ent­gelts oder ein­er der Höhe nach dem Ent­gelt entsprechen­den Geldleis­tung der Arbeit fern­bleiben kann).
    • soweit die Arbeit­szeit  auf­grund der Anord­nung von Kurzarbeit verkürzt ist.
    • Kein Anspruch beste­ht für Beamte*innen.
  • Wann liegt eine zumut­bare Betreu­ungsmöglichkeit vor?

Eine zumut­bare Betreu­ungsmöglichkeit ist beispiel­sweise gegeben, wenn ein Anspruch auf eine soge­nan­nte Not­be­treu­ung in der Kita, Schule oder Ein­rich­tung für Men­schen mit Behin­derun­gen beste­ht, auf den anderen Eltern­teil zurück­ge­grif­f­en wer­den kann oder andere Fam­i­lien­mit­glieder oder Ver­wandte die Betreu­ung wahrnehmen kön­nen, sofern diese in Bezug auf Infek­tio­nen kein­er Risiko­gruppe angehören.

  • Mein Mitar­beit­er kann grund­sät­zlich im Home-Office arbeit­en, aber die zu betreuen­den Kinder sind noch sehr jung und/oder benöti­gen viel Aufmerksamkeit… 

Um im Home-Office arbeit­en zu kön­nen, ist es auch erforder­lich für die Arbeit zur Ver­fü­gung zu ste­hen und sich nicht andauernd um z. B. ein kleines Kind küm­mern zu müssen. Ein Entschädi­gungsanspruch ist hier nicht grund­sät­zlich aus­geschlossen, es kommt let­ztlich auf den Einzelfall an.

  • Muss Erhol­ung­surlaub vor­rangig zur Kinder­be­treu­ung genom­men werden?

Das hängt davon ab, um welche Urlaub­sansprüche es sich han­delt. Beste­hen noch Urlaub­sansprüche aus dem Vor­jahr, dann sind diese zunächst für die Kinder­be­treu­ung zu ver­wen­den. Urlaub­sansprüche aus diesem Jahr sind grund­sät­zlich nicht vor­rangig für die Kinder­be­treu­ung einzuset­zen. Sollte für den betrof­fe­nen Zeitraum jedoch bere­its im Vor­feld Urlaub beantragt wor­den sein, so ist dieser vor­rangig einzusetzen.

  • Wer kann einen Antrag stellen? An wen ist dieser zu richten?

Im Falle von Arbeitnehmer*innen kann der Arbeit­ge­ber einen Antrag stellen. Voraus­set­zung ist, dass der Arbeit­ge­ber sein­er Verpflich­tung inner­halb der ersten 6 Wochen nachgekom­men ist, die Entschädi­gung an seine/n Arbeitnehmer*in auszuzahlen. Ansprech­part­ner der Arbeitnehmer*innen sind entsprechend in erster Lin­ie ihre Arbeitgeber.

Wenn im Einzelfall der Arbeit­ge­ber sein­er Zahlungspflicht nicht nachkommt, kann sich die/der Arbeitnehmer*in auch unmit­tel­bar an den zuständi­gen Land­schaftsver­band wen­den. Ab der 7. Woche müssen Arbeitnehmer*innen ihren Antrag selb­st gegenüber der zuständi­gen Behörde stellen. Selb­ständi­ge kön­nen für ihren Ver­di­en­staus­fall einen Antrag stellen.

Arbeit­ge­ber, Arbeitnehmer*innen und Selb­ständi­ge kön­nen den Erstat­tungsantrag online stellen.

Zuständig für die Zahlung der Entschädi­gung ist nach § 66 IfSG das Bun­des­land, welch­es die Maß­nahme ange­ord­net hat. In NRW richtet sich die örtliche Zuständigkeit des jew­eili­gen Land­schaftsver­ban­des nach dem Sitz des Betriebes, bzw. der Betrieb­sstätte, an der der betrof­fene Men­sch tätig ist.

  • Ab welchem Zeit­punkt beste­ht ein Anspruch? Ist für die Beantra­gung eine Frist einzuhalten?

Der Anspruch beste­ht ab dem 30. März 2020. Sofern Ihr Kind selb­st unter Quar­an­täne gestellt wurde, beste­ht der Anspruch für die Fälle, in denen Quar­an­tä­nen ab dem 19. Novem­ber 2020 erst­mals ange­ord­net wur­den. Die Anträge müssen inner­halb von 12 Monat­en nach dem Ende der vorüberge­hen­den Schließung oder der Unter­sa­gung des Betretens der Schulen, Kindertagesstät­ten oder Ein­rich­tun­gen für Men­schen mit Behin­derun­gen beim zuständi­gen Land­schaftsver­band Rhein­land (LVR) oder West­falen-Lippe (LWL) gestellt wer­den. Die Zuständigkeit der Land­schaftsver­bände richtet sich in der Regel nach dem Sitz des Betriebes.

  • Welche Unter­la­gen wer­den für die Beantra­gung benötigt?

Gemein­sam mit Ihrem Antrag sind die Lohn- bzw. Gehaltsabrech­nun­gen der let­zten 2 Monate der betrof­fe­nen Arbeitnehmer*innen einzure­ichen. Selb­st­ständi­ge reichen bitte den let­zten Steuerbescheid ein. Liegt wegen erst kür­zlich erfol­gter Unternehmensgrün­dung noch kein Steuerbescheid vor, bit­ten wir eine Erk­lärung Ihres Steuer­ber­atungs­büros beizufügen.

  • Habe ich einen Anspruch während ich in Kurzarbeit bin?

Nein, soweit Sie in Kurzarbeit sind, haben Sie die Möglichkeit Ihre Kinder selb­st zu betreuen.

  • Beste­ht ein Anspruch auf Entschädi­gung während der Schul- oder Betriebsferien?

Es beste­ht kein Anspruch, wenn die Kita, Schule oder Ein­rich­tung für Men­schen mit Behin­derun­gen ohne­hin in den Schul- oder Betrieb­s­fe­rien geschlossen hätte. 

  • Kön­nen sich die Eltern die Kinder­be­treu­ung teilen?

Ja, Eltern kön­nen sich die Kinder­be­treu­ung teilen und für die jew­eili­gen Tage mit Ver­di­en­staus­fall eine Entschädi­gung erhal­ten. Der max­i­male Anspruch von 10 Wochen beste­ht für jede erwerb­stätige Per­son. Für erwerb­stätige Per­so­n­en, die ihr Kind allein beauf­sichti­gen, betreuen oder pfle­gen beste­ht ein Anspruch für läng­stens 20 Wochen. Pro erwerb­stätige Per­son ist der Anspruch auf 2.016,00 EUR pro Kalen­der­monat begren­zt. Der max­i­male Anspruch­szeitraum von 10 bzw. 20 Wochen muss nicht an einem Stück aus­geschöpft, son­dern kann entsprechend der jew­eili­gen Bedürfnisse tageweise verteilt werden.

Görzel emp­fahl, dies zu beacht­en und in Zweifels­fällen rechtlichen Rat einzu­holen, wobei er u. a. dazu auch auf den VDAA Ver­band deutsch­er Arbeit­srecht­sAn­wälte e. V. – www.vdaa.de – ver­wies.

 

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Volk­er Görzel
Recht­san­walt, Fachan­walt für Arbeitsrecht
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