(Stuttgart) Der Begriff der „ver­tragsmäßi­gen Leis­tun­gen“ iSv. § 74 Abs. 2 HGB, auf deren Grund­lage sich bei einem zwis­chen Arbeit­ge­ber und Arbeit­nehmer vere­in­barten nachver­traglichen Wet­tbe­werb­sver­bot die geset­zliche (Mindest-)Karenzentschädigung berech­net, umfasst nur solche Leis­tun­gen, die auf dem Aus­tauschcharak­ter des Arbeitsver­trags beruhen und die der Arbeit­ge­ber dem Arbeit­nehmer als Vergü­tung für geleis­tete Arbeit schuldet.

Deshalb sind, soweit der Arbeit­nehmer eine Vere­in­barung über die Gewährung von Restrict­ed Stock Units (RSUs – beschränk­te Aktiener­werb­srechte) nicht mit seinem Arbeit­ge­ber, son­dern mit der Oberge­sellschaft der Unternehmensgruppe schließt, der sein Ver­tragsar­beit­ge­ber ange­hört, die dem Arbeit­nehmer seit­ens der Oberge­sellschaft gewährten RSUs bzw. die ihm – nach Weg­fall bes­timmter Restrik­tio­nen – zugeteil­ten Aktien grund­sät­zlich nicht Teil der „ver­tragsmäßi­gen Leis­tun­gen“ iSv. § 74 Abs. 2 HGB. Etwas anderes kann jedoch gel­ten, wenn der Ver­tragsar­beit­ge­ber im Hin­blick auf die Gewährung der RSUs durch die Oberge­sellschaft aus­drück­lich oder kon­klu­dent eine eigene (Mit-)Verpflichtung einge­gan­gen ist. Ob dies zutrifft, beurteilt sich nach den konkreten Umstän­den des Einzelfalls.

Darauf ver­weist der Kiel­er Fachan­walt für Arbeit­srecht Jens Klar­mann, Vizepräsi­dent des VDAA — Ver­band deutsch­er Arbeit­srecht­sAn­wälte e. V. mit Sitz in Stuttgart, unter Hin­weis auf die Pressemit­teilung des Bun­de­sar­beits­gerichts (BAG) zu seinem Urteil vom 25. August 2022 – 8 AZR 453/21 –.

Der Kläger war von Jan­u­ar 2012 bis Jan­u­ar 2020 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgän­gerin­nen beschäftigt. Sein monatlich­es Grundge­halt belief sich zulet­zt auf 10.666,67 Euro brut­to. Die Beklagte ist Mit­glied ein­er Unternehmensgruppe, deren Oberge­sellschaft ein US-amerikanis­ches Unternehmen ist. Der im Dezem­ber 2011 geschlossene Arbeitsver­trag des Klägers enthält unter § 15 die Vere­in­barung eines neun­monati­gen konz­ern­weit­en nachver­traglichen Wet­tbe­werb­sver­bots. Im Gegen­zug verpflichtete sich die Arbeit­ge­berin, an den Kläger „nach Ende der Anstel­lung eine Entschädi­gung zu zahlen, welche für jedes Jahr des Ver­bots die Hälfte der vom Angestell­ten zulet­zt bezo­ge­nen ver­tragsmäßi­gen Leis­tun­gen erre­icht“. Ergänzend wurde die Gel­tung der §§ 74 ff. HGB vere­in­bart. Während seines Arbeitsver­hält­niss­es par­tizip­ierte der Kläger an dem „RSU-Pro­gramm“ der Oberge­sellschaft und erhielt auf der Grund­lage der von ihm mit dieser jew­eils sep­a­rat getrof­fe­nen „Glob­al Restrict­ed Stock Unit Award Agree­ments“ jährlich eine bes­timmte Anzahl von RSUs.

Mit sein­er Klage hat der Kläger, der sich nach seinem Auss­chei­den an das Wet­tbe­werb­sver­bot gehal­ten hat, die Beklagte zulet­zt noch auf Zahlung von Karen­zentschädi­gung iHv. ins­ge­samt 80.053,65 Euro brut­to neb­st Zin­sen in Anspruch genom­men. Er hat die Auf­fas­sung vertreten, ihm ste­he für die Karenzzeit – über den von der Beklagten bere­its gezahlten und den ihm erstin­stan­zlich recht­skräftig zuerkan­nten weit­eren Betrag hin­aus – eine weit­ere Karen­zentschädi­gung iHv. 8.894,85 Euro brut­to monatlich zu. Bei der Berech­nung der Karen­zentschädi­gung seien auch die ihm gewährten RSUs zu berück­sichti­gen. Darauf, wer Schuld­ner dieser Leis­tun­gen sei, könne es schon in Anbe­tra­cht der Möglichkeit der Ein­flussnahme der Oberge­sellschaft auf die Ver­trags­be­din­gun­gen im Arbeitsver­hält­nis der Parteien nicht ankom­men. Die Vorin­stanzen haben die Klage im noch stre­it­ge­gen­ständlichen Umfang abgewiesen.

Die Revi­sion des Klägers hat­te vor dem Acht­en Sen­at des Bun­de­sar­beits­gerichts keinen Erfolg. Der Kläger hat – wie das Lan­desar­beits­gericht zutr­e­f­fend erkan­nt hat – keinen Anspruch auf Zahlung ein­er höheren Karenzentschädigung.

Ein solch­er Anspruch hätte sich nur unter Berück­sich­ti­gung der dem Kläger seit­ens der Oberge­sellschaft gewährten RSUs ergeben kön­nen. Bei diesen han­delt es sich jedoch nicht um „ver­tragsmäßige Leis­tun­gen“ iS der unter § 15 des Arbeitsver­trags über die Höhe der Karen­zentschädi­gung getrof­fe­nen Vere­in­barung. Diese Vere­in­barung greift den Wort­laut von § 74 Abs. 2 HGB auf und ist mithin dahin zu ver­ste­hen, dass die Beklagte dem Kläger eine Karen­zentschädi­gung iH der geset­zlichen Min­destentschädi­gung zuge­sagt hat. Für die Ausle­gung des Begriffs der „ver­tragsmäßi­gen Leis­tun­gen“ in § 15 des Arbeitsver­trags gilt dem­nach nichts anderes als für die Ausle­gung des entsprechen­den Rechts­be­griffs in § 74 Abs. 2 HGB. Der Begriff der „ver­tragsmäßi­gen Leis­tun­gen“ iSv. § 74 Abs. 2 HGB, auf deren Grund­lage sich bei der Vere­in­barung eines nachver­traglichen Wet­tbe­werb­sver­bots die geset­zliche (Mindest-)Karenzentschädigung berech­net, umfasst nur solche Leis­tun­gen, die auf dem Aus­tauschcharak­ter des Arbeitsver­trags beruhen und die der Arbeit­ge­ber dem Arbeit­nehmer als Vergü­tung für geleis­tete Arbeit schuldet. Da der Kläger die jew­eili­gen „Glob­al Restrict­ed Stock Unit Award Agree­ments“, also die Vere­in­barun­gen über die Gewährung der RSUs, nicht mit der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgän­gerin­nen, son­dern mit der Oberge­sellschaft getrof­fen hat, set­zt die Berück­sich­ti­gung der RSUs bei der Berech­nung der Karen­zentschädi­gung zumin­d­est voraus, dass die Beklagte im Hin­blick auf die Gewährung dieser RSUs – aus­drück­lich oder kon­klu­dent – eine (Mit-)Verpflichtung über­nom­men hatte.

Die Beklagte ist jedoch – wie das Lan­desar­beits­gericht unter Berück­sich­ti­gung aller Umstände des Einzelfalls rechts­fehler­frei angenom­men hat – wed­er aus­drück­lich noch kon­klu­dent eine solche (Mit-)Verpflichtung einge­gan­gen. Ins­beson­dere war eine andere Bew­er­tung nicht deshalb geboten, weil die Parteien in § 15 des Arbeitsver­trags ein „konz­ern­weites“ Wet­tbe­werb­sver­bot vere­in­bart hat­ten. Selb­st wenn die Wet­tbe­werb­sabrede hin­sichtlich ihres vere­in­barten Konz­ern­bezugs nicht dem Schutz berechtigter geschäftlich­er Inter­essen der Beklagten gedi­ent haben sollte, hätte dies nach § 74a Abs. 1 HGB „nur“ eine Rück­führung der dem Kläger aufer­legten Beschränkun­gen auf die zuläs­sige Reich­weite des Ver­bots bewirkt, nicht aber dazu geführt, dass der Kläger, soweit er sich auch des Wet­tbe­werbs ins­beson­dere im Geschäfts­bere­ich der Oberge­sellschaft enthal­ten hat, eine Karen­zentschädi­gung unter Berück­sich­ti­gung der RSUs ver­lan­gen könnte.

Klar­mann emp­fahl, den Aus­gang zu beacht­en sowie in Zweifels­fällen, um Recht­srat nachzusuchen, wobei er u. a. dazu auch auf den VDAA Ver­band deutsch­er Arbeit­srecht­sAn­wälte e. V. – www.vdaa.de – ver­wies.      

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