(Stuttgart) In einem Kündi­gungss­chutzprozess beste­ht grund­sät­zlich kein Ver­w­er­tungsver­bot in Bezug auf solche Aufze­ich­nun­gen aus ein­er offe­nen Videoüberwachung, die vorsät­zlich ver­tragswidriges Ver­hal­ten des Arbeit­nehmers bele­gen sollen. Das gilt auch dann, wenn die Überwachungs­maß­nahme des Arbeit­ge­bers nicht voll­ständig im Ein­klang mit den Vor­gaben des Daten­schutzrechts ste­ht. 

Darauf ver­weist der Stuttgarter Fachan­walt für Arbeit­srecht Michael Henn, Präsi­dent des VDAA — Ver­band deutsch­er Arbeit­srecht­sAn­wälte e. V. mit Sitz in Stuttgart, unter Hin­weis auf die Mit­teilung des Bun­de­sar­beits­gerichts (BAG) zu seinem Urteil vom 29. Juni 2023 – 2 AZR 296/22 –.

Der Kläger war bei der Beklagten zulet­zt als Team­sprech­er in der Gießerei beschäftigt. Die Beklagte wirft ihm ua. vor, am 2. Juni 2018 eine sog. Mehrar­beitss­chicht in der Absicht nicht geleis­tet zu haben, sie gle­ich­wohl vergütet zu bekom­men. Nach seinem eige­nen Vor­brin­gen hat der Kläger zwar an diesem Tag zunächst das Werks­gelände betreten. Die auf einen anony­men Hin­weis hin erfol­gte Auswer­tung der Aufze­ich­nun­gen ein­er durch ein Pik­togramm aus­gewiese­nen und auch son­st nicht zu überse­hen­den Videokam­era an einem Tor zum Werks­gelände ergab nach dem Vor­trag der Beklagten aber, dass der Kläger dieses noch vor Schicht­be­ginn wieder ver­lassen hat. Die Beklagte kündigte das Arbeitsver­hält­nis der Parteien außeror­dentlich, hil­f­sweise ordentlich.

Mit sein­er dage­gen erhobe­nen Klage hat der Kläger ua. gel­tend gemacht, er habe am 2. Juni 2018 gear­beit­et. Die Erken­nt­nisse aus der Videoüberwachung unter­lä­gen einem Sachvor­trags- und Beweisver­w­er­tungsver­bot und dürften daher im Kündi­gungss­chutzprozess nicht berück­sichtigt werden.

Die Vorin­stanzen haben der Klage stattgegeben. Die hierge­gen gerichtete Revi­sion der Beklagten hat­te vor dem Zweit­en Sen­at des Bun­de­sar­beits­gerichts bis auf einen Antrag betr­e­f­fend ein Zwis­chen­zeug­nis Erfolg. Sie führte zur Zurück­ver­weisung der Sache an das Landesarbeitsgericht.

Dieses musste nicht nur das Vor­brin­gen der Beklagten zum Ver­lassen des Werks­gelän­des durch den Kläger vor Beginn der Mehrar­beitss­chicht zu Grunde leg­en, son­dern ggf. auch die betr­e­f­fende Bild­se­quenz aus der Videoüberwachung am Tor zum Werks­gelände in Augen­schein nehmen. Dies fol­gt aus den ein­schlägi­gen Vorschriften des Union­srechts sowie des nationalen Ver­fahrens- und Ver­fas­sungsrechts. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Überwachung in jed­er Hin­sicht den Vor­gaben des Bun­des­daten­schutzge­set­zes bzw. der Daten­schutz-Grund­verord­nung (DSGVO) entsprach. Selb­st wenn dies nicht der Fall gewe­sen sein sollte, wäre eine Ver­ar­beitung der betr­e­f­fend­en per­so­n­en­be­zo­ge­nen Dat­en des Klägers durch die Gerichte für Arbeitssachen nach der DSGVO nicht aus­geschlossen. Dies gilt jeden­falls dann, wenn die Daten­er­he­bung wie hier offen erfol­gt und vorsät­zlich ver­tragswidriges Ver­hal­ten des Arbeit­nehmers in Rede ste­ht. In einem solchen Fall ist es grund­sät­zlich irrel­e­vant, wie lange der Arbeit­ge­ber mit der erst­ma­li­gen Ein­sicht­nahme in das Bild­ma­te­r­i­al zuge­wartet und es bis dahin vorge­hal­ten hat. Der Sen­at kon­nte offen­lassen, ob aus­nahm­sweise aus Grün­den der Gen­er­al­präven­tion ein Ver­w­er­tungsver­bot in Bezug auf vorsät­zliche Pflichtver­stöße in Betra­cht kommt, wenn die offene Überwachungs­maß­nahme eine schw­er­wiegende Grun­drechtsver­let­zung darstellt. Das war vor­liegend nicht der Fall.

Henn emp­fahl, die Entschei­dung zu beacht­en und in Zweifels­fällen rechtlichen Rat einzu­holen, wobei er u. a. dazu auch auf den VDAA-Ver­band deutsch­er Arbeit­srecht­sAn­wälte e. V. – www.vdaa.de – ver­wies.

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